So rüsten Baugenossenschaften ihre Siedlungen für die zunehmende Velomobilität

Verkuppeln erwünscht

Mehr Velos, mehr Individualität: Fahrräder und ihre Parkierung stellen Wohnbaugenossenschaften vor Herausforderungen. Worauf kommt es an bei Planung und Ausstattung? Welche Rolle spielen Elektrovelos und Sharing-Angebote? Welche Zusatzangebote und Lösungen sind zukunftsfähig? Wohnen zeigt die fünf wichtigsten Aspekte und Erfahrungen verschiedener Genossenschaften auf.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: zVg | 2022/03

Geht es um Veloabstellplätze bei Neubauten, kennen viele Kantone und Gemeinden eigene Vorschriften. Oft nehmen sie dabei Bezug auf die VSS-Norm (Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute). In den Augen von Jörg Vitelli, Präsident des Regionalverbandes Nordwestschweiz von Wohnbaugenossenschaften Schweiz und Gründer von «Vitelli Velobedarf», stellt diese Norm aber eher eine Minimalanforderung dar, die nicht immer zu befriedigenden Lösungen führt. So wird zum Beispiel beim oft eingesetzten höhenversetzten Parkiersystem ein Minimalabstand zwischen den Velos von 45 Zentimetern empfohlen. Vitelli rät aufgrund der immer breiteren Lenker und zunehmenden Zahl an Elektrovelos eher zu 50 bis 60 Zentimetern. «Auch sollte man in einer Überbauung mindestens gleich viele Langzeitabstellplätze für Velos wie Anzahl Zimmer haben. Wobei das auch abhängig ist von der Mieterstruktur.»
Allgemein beginne eine gute Planung von Veloabstellplätzen beim Vorprojekt für eine Überbauung. So ist für die spätere Nutzung beispielsweise eine gute Erreichbarkeit entscheidend. Vitelli: «Dazu gehören auch eine einfach befahrbare Rampe in den Velokeller und automatisierte Türen». Eine solche wegweisende Lösung wurde in der Siedlung Schoren der Wohnbau-Genossenschaft Nordwest (WGN) in Basel umgesetzt. Diese komme super an, sagt WGN-Immobilienbewirtschafter Yannick Ebi. Im Abstellraum selbst sind gemäss Vitelli eine helle Ausleuchtung und genügend flexible Stellplätze für Spezialvelos wie Kinder- oder Cargovelos wichtig. In der Siedlung Schoren kommen diese heute meist in den über 40 Veloboxen unter, die 1,25 auf 3 Meter gross sind und für 15 Franken monatlich gemietet werden können. «Bei 94 Wohnungen hätten wir aber fast noch mehr solcher Boxen vermieten können», sagt Ebi.

Von Haken, praktischen Ablagen und genügend Steckdosen profitieren in der Genossenschaft ­Erlenflex in Basel Elektrobiker und Velofahrerinnen gleichermassen.

Genügend Steckdosen für Elektrovelos
Die Veloboxen sind gemäss Ebi auch beliebt bei den Elektrovelo-Besitzerinnen und -Besitzern: «In den Boxen sind die Elektrovelos zusätzlich gesichert und Steckdosen verfügbar.» Eine ähnliche Lösung hat die Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Winterthur (GWG) bei ihrer Überbauung Vogelsang gewählt. Hier sind hinter den Veloabstellplätzen direkt die Kellerabteile platziert, wo auch teurere Velos untergebracht oder Akkus geladen werden können. Allgemein seien Lösungen für Elektrovelos heute unverzichtbar, betont Christoph Merkli von Pro Velo Schweiz. «Derzeit ist jedes dritte verkaufte Velo ein Elektrovelo, dieser Anteil dürfte weiter steigen.» Merkli empfiehlt deshalb, bei den Langzeitabstellplätzen im Abstand von zwei bis drei Velos jeweils eine Steckdose zu installieren. «Eher unpraktisch sind systemabhängige Ladestationen, da es so viele verschiedene Systeme gibt.»
Besonders clever: Die Wohngenossenschaft Erlenflex hat in ihrer Überbauung im Basler Erlenmattquartier zusätzlich Ablageflächen geschaffen, auf denen neben den Velohelmen auch die Akkus Platz finden. Und der Stromverbrauch? «Das läuft bei uns über den Allgemeinstrom. Für den wenigen Strom war uns eine Zählerinstallation zu teuer und die Administration zu aufwändig», erklärt Erlenflex-Vorstandsmitglied Philippe Willareth die Lösung, die auch Vitelli empfiehlt.

Bewirtschaften und nachrüsten
Merkli geht davon aus, dass die Anzahl Velos in Zukunft weiter zunimmt. Bei Neubauten empfiehlt er deshalb, genügend Reserven einzuplanen. Dieser Meinung ist auch Vitelli: «Im Nachhinein im Innern nachzurüsten, ist schwierig, am einfachsten ist es noch in der Autoeinstellhalle.» Diesen Weg wählte etwa die Wohngenossenschaft Geissenstein-EBG in Luzern bei einer älteren Liegenschaft. «Andernorts ist geplant, die Waschküche aufzuwerten und auf das Dach zu versetzen, wodurch wir ebenfalls Veloabstellplätze auf Höhe Souterrain gewinnen», erzählt Johannes Schlattau von der Geissenstein.
Die GWG wiederum rüstet bei Bedarf in älteren Siedlungen meist im Freien nach. Dafür hat sie einen Velounterstand entworfen, der je nach Siedlung im Design angepasst wird. Er ist überdacht und abschliessbar, was laut Vitelli zwei entscheidende Anforderungen für Langzeitabstellplätze im Freien sind. «Ausserdem setzen wir auf regelmässige Räumungsaktionen, damit keine ungebrauchten Velos die Plätze besetzen», so GWG-Geschäftsführer Andreas Siegenthaler. In der Siedlung Vogelsang verfügt man zudem über nummerierte, den Wohnungen zugeteilte Abstellplätze. Die Wohnbaugenossenschaft Erlenflex hat derweil ein visuelles Kontrollsystem eingeführt: «Für jede Bewohnerin und jeden Bewohner gibt es einen Bändel für ans Velo und damit einen Platz im Hauptvelokeller. Ansonsten haben wir in einer grossen Einstellhalle eine zweite Abstellmöglichkeit», erklärt Willareth. «Selbstverständlich können die Bändel auch untereinander weitergegeben werden.»

Anhänger und Cargovelos werden geteilt
Gegen zu viele Velos können auch Sharing-Angebote helfen. Für normale Velos gibt Merkli den Tipp, den in der entsprechenden Region tätigen Sharing-Anbieter um eine Zusammenarbeit anzufragen. Die meisten Genossenschaften legen den Fokus beim Veloteilen jedoch auf Spezialvelos, wie sie auf Anfrage sagen. Die GWG stellt im Vogelsang zum Beispiel zwölf Veloanhänger zur Verfügung: «Diese benötigen weniger Platz als Lastenvelos und können mit dem eigenen Velo genutzt werden, was die Hemmschwelle senkt», so Siegenthaler. An einem «Verkupplungstag» hätten sich die Bewohnenden gegen ein kleines Entgelt die nötige Anhängerkupplung an ihr Velo montieren lassen können. 85 Personen haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht und sich auch gleich instruieren lassen, wie sie künftig im Alltag einen der Transportwagen bei Bedarf rasch an ihr Fahrrad anhängen können.
Gleich mehrere Genossenschaften bieten ausserdem in Zusammenarbeit mit «Carvelo2go» elektrische Lastenvelos zum Ausleihen an. Carla Coester der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ): «Wir zahlen für das Lastenvelo jährlich einen Pauschalbetrag von 3000 Franken und erhalten Ende Jahr die Mieteinnahmen zurückerstattet. Nach einer Online-Registrierung kann das Lastenvelo einfach reserviert werden, Schlüssel sowie Akku holt man bei einem Gewerbetreibenden vor Ort ab.» Das Angebot sei sehr beliebt, so dass für die FGZ jährlich nur geringe Kosten anfallen. Positives berichtet auch Antonio Auf der Mauer von der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich, die in der Überbauung Zollhaus ein Lastenvelo über Carvelo2go anbietet. «Der grosse Vorteil ist, dass wir nichts mit der Administration und dem Unterhalt zu tun haben.»
Gleich eine ganze Mobilitätsstation, die ausschliesslich mit Naturstrom aus Wasserkraft und weiteren erneuerbaren Energien betrieben wird, hat die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (ABL) Ende März in der Siedlung Weinbergli eröffnet: Elektroauto, E-Roller, E-Cargovelo und zwei Elektrovelos, die über die gleiche App ohne Abo ausleihbar sind. Bezahlt wird einzig die Mietdauer. «Ein schweizweit einzigartiges Pilotprojekt, mit dem die Albert Koechlin Stiftung auf uns zukam», erklärt ABL-Geschäftsleiter Martin Buob. «Betrieb und Support übernimmt ein externer Anbieter, die Stiftung finanziert den Aufbau und die ersten drei Betriebsjahre.» Die Zeit nutze man, um wichtige Erfahrungen zu sammeln für den weiteren Betrieb. Auch sei man offen für weitere Mobilitätsstationen.

In neueren Überbauungen der GWG wie dem Vogelsang wird von Beginn weg velofreundlich geplant, hinzu kommen Angebote wie Veloanhänger und Werkstatt.

Putzstationen und Veloflicktage
Velo-Sharing ist bei weitem nicht das einzige mögliche Zusatzangebot: In der Siedlung Schoren der WGN in Basel findet sich in der Tiefgarage ein Veloputzplatz mit Wasseranschluss. «Das Angebot wird rege genutzt. Wir würden es sofort wieder realisieren. Jedoch mit etwas grösserem Abfluss, damit sich der Dreck weniger staut», resümiert Immobilienbewirtschafter Ebi. Bei der GWG findet sich am Ausgang der Siedlung Vogelsang ein Velowerkstattraum mit Druckluftpumpe, Werkzeug und Reparaturständer, damit Bewohnerinnen und Bewohner ihr Velo bei Bedarf noch pumpen oder etwas reparieren können, bevor sie in die Stadt fahren. Im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite kommt zweimal pro Jahr ein Profi zum Veloflicktag vorbei. Auf der Mauer: «Dieser repariert kleinere Schäden und gibt auch Instruktionen, was man wie selber machen kann. Ein beliebtes Angebot, das wir über den Mobilitätsfonds finanzieren.»
Auch die FGZ veranstaltet seit 25 Jahren jährlich einen Veloflicktag: «Mit der Ursprungsidee, dass Bewohnende mit etwas Hilfestellung ihre verstaubten Drahtesel vielleicht eher wieder aus den überfüllten Kellern nehmen und nutzen», so Coester. Inzwischen ist die Nachfrage so gross, dass mehrere Velomechaniker aus Zürcher Fachgeschäften vor Ort jeweils ihre Hilfe anbieten, im Gegenzug erhalten sie von der FGZ eine Umtriebsentschädigung und dürfen ihre Werbebanner aufhängen. «Gleichzeitig ergänzt der Anlass auch unser bestehendes Freizeit-Genossenschaftsangebot.»
Ähnlich klingt es bei der Genossenschaft Erlenflex, wo die Bewohnenden den Velokeller zweimal jährlich gemeinsam putzen. «Dabei sehen wir gleich, was nicht mehr benötigt wird. Und anschliessend gibt es zum Beispiel ein gemeinsames Pizzaessen.»

Weitere Informationen:
Veloparkierungen: Handbuch vom ASTRA und der Velo­konferenz Schweiz; Empfehlungen zu Planung, Realisierung und Betrieb. www.astra.admin.ch
www.bikesharing.ch: unter anderem mit Verzeichnis der ­bike­sharing-Systeme auf dem Schweizer Markt
www.weinbergli.cleverunterwegs.ch: Informationen rund um die Mobilitätsstation der ABL im Weinbergli
www.carvelo2go.ch: Angebot der Mobilitätsakademie des Touring Club Schweiz für eCargo-Bike-Sharing
www.polyroly.com: Anbieter von Veloanhängern
www.vitelli.ch: breites Sortiment an Veloanhängern und ­Cargo-­Velos