VMI-Studie beleuchtet verschiedene Formen der Genossenschaftsführung

Haupt- oder Nebenamt?

Wohnbaugenossenschaften sehen sich mit wachsenden Ansprüchen ihrer Mitglieder konfrontiert. Eine Professionalisierung der Verwaltung ist eine mögliche Antwort darauf. Welche Vor-, aber auch Nachteile das mit sich bringt, zeigt die Studie des Verbands­management Instituts (VMI) der Universität Freiburg i.Ü.

Von Peter Suter, VMI | Grafiken: zVg | Oktober 2017

Schweizer Wohnbaugenossenschaften profilieren sich nebst ihrem gemeinnützigen Grundgedanken durch innovative Wohnformen, qualitativ hochstehende Bauten und einen engen Kontakt zwischen Mitgliedern und Verwaltung. Die hohe Lebensqualität bringt allerdings auch mit sich, dass die Erwartungshaltung der Mitglieder gegenüber ihrer Genossenschaft stetig wächst. Dies zeigen die Antworten der Verantwortlichen von Wohnbaugenossenschaften, die sich im Rahmen einer VMI-Studie (siehe Box) über ihre Erfahrungen äussern konnten.
Demnach sehen sich Genossenschaftsverwaltungen nicht nur mit erhöhten Ansprüchen hinsichtlich des Wohnkomforts und Ausbaustandes konfrontiert, sondern auch mit einer steigenden Erwartungshaltung gegenüber der Dienst­leistungsbereitschaft. Das zeigt sich zum Beispiel im Anspruch der Mitglieder, dass die Verwaltung ständig erreichbar ist und umgehend auf persönliche Anliegen reagiert. Darüber hinaus steigt die Zahl der Regulatorien, die von Wohnbaugenossenschaften berücksichtigt werden müssen, und auch der Grad der Formalisierung, zum Beispiel im Umgang mit der öffentlichen Hand, nimmt zu.

Weniger Engagement
Diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist für viele Wohnbaugenossenschaften eine Mammutaufgabe. Es drohen eine Überforderung des Managements und die Reduktion auf die blosse Verwaltung des Bestandes. Kompetente Geschäftsführende sowie Vorstände werden damit unverzichtbar in modernen Wohnbaugenossenschaften. Gleichzeitig bekunden sie – wie auch andere mitgliederbasierte Organisationen – ein rückläufiges Interesse ihrer Mitglieder an der Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben. Die steigenden Ansprüche der Mitglieder gegenüber den Verantwortlichen und die gleichzeitig verminderte Bereitschaft zum Engagement ist und wird für viele Wohnbaugenossenschaften eine der zentralen Herausforderungen.
Aktuell verfügen rund neunzig Prozent der Schweizer Wohnbaugenossenschaften über keine professionelle, das heisst hauptamtlich angestellte Geschäftsleitung. Der Grossteil wird demnach noch immer von Ehrenamtlichen geführt. Dass trotz den beschriebenen Herausforderungen auch ehrenamtlich verwaltete Wohnbaugenossenschaften ihre Vorteile mit sich bringen, zeigt die VMI-Studie, bei der 120 Wohnbaugenossenschaften und über 1500 Mitglieder befragt wurden. Die folgenden Angaben beruhen auf den Selbsteinschätzungen der Managementverantwortlichen, die sie bei der Umfrage vorgenommen haben.

In ehrenamtlich geführten Wohnbaugenossenschaften nehmen mehr Mitglieder an Veranstaltungen teil, und sie helfen auch eher freiwillig mit.

Hauptamtlich geführte Wohnbaugenossenschaften suchen viel häufiger aktiv nach Möglichkeiten, um zu expandieren.

Werte aufrechterhalten
Ehrenamtlich geführte Wohnbaugenossenschaften schaffen es besser, ihre gemeinsamen Werte aufrechtzuerhalten und die Mitglieder innerhalb der Genossenschaft zu integrieren. Beispielhaft zeigen sich diese unterschiedlichen Ausprägungen an genossenschaftlichen Anlässen: Je stärker die Wohnbaugenos­sen­schaft durch ein hauptamtliches Management geprägt ist, desto grösser ist das Veranstaltungsangebot. Gleich­zeitig nimmt in diesen Genossenschaften aber gerade einmal ein Viertel der Mitglieder an solchen Anlässen teil. Demgegenüber sind bei ehrenamtlich geführten Wohnbaugenossenschaften über die Hälfte der Mitglieder jeweils bei Genossenschaftsanlässen mit dabei, und es sind auch mehr Mitglieder bereit, freiwillig mitzuhelfen (siehe Grafik). Solche Wohnbaugenossenschaften sind offenbar erfolgreich darin, Gemeinschaftssinn und genossenschaftliches Verständnis innerhalb der Siedlungen zu erzeugen.
Wohnbaugenossenschaften mit einem hauptamtlichen Management bieten andere Vorzüge. Ihre finanzielle Lage ist komfortabler, und sie verfügen über grössere finanzielle Reserven, mit denen sie beispielsweise Neubauten oder Sanierungen realisieren sowie unvorhergesehene Ausgaben decken können. Die Ressourcenplanung ist bei ihnen entsprechend langfristig angelegt, und sie vermögen auch in (finanziell) schwierigen Situationen die Ziele der Genossenschaft im Auge zu behalten. Gemäss Selbsteinschätzung bieten sie tendenziell tiefere Mietzinse als ehrenamtlich geführte Genossenschaften an. Zudem orientieren sich komplett oder mehrheitlich hauptamtlich geführte Wohnbaugenossenschaften stärker am aktuellen regionalen Immobilienmarkt und an der politischen Situation. Sie sind insgesamt als anpassungsfähiger einzustufen und zeigen sich offener gegenüber grösseren Veränderungen von genossenschaftlichen Strukturen und Prozessen sowie von Norm- und Wertvorstellungen ihrer Mitglieder und der Gesellschaft.

Vor allem Grösse bestimmend
Die Frage der Professionalisierung geht meist mit der Grösse der Wohnbaugenossenschaft einher. Während in Kleingenossenschaften mit weniger als fünfzig Wohnungen eine hauptamtliche Geschäftsleitung kaum finanziell tragbar ist, ist eine eigene Geschäftsstelle bei Grossgenossenschaften von mehreren hundert Wohnungen beinahe unumgänglich. Die Studienergebnisse zeigen denn auch, dass ehrenamtliche Wohnbaugenossenschaften nur geringe Expansionsabsichten haben und ihre bewährte Genossenschaftsstruktur beibehalten möchten. Demgegenüber suchen hauptamtlich geführte Wohnbaugenossenschaften oftmals aktiv nach Möglichkeiten, um neue Siedlungen zu bauen und zu expandieren.
Interessant ist, dass sich hinsichtlich der Zufriedenheit der Mitglieder mit ihrer Wohnbaugenossenschaft keine grösseren Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Graden der Professionalisierung aufzeigen lassen. Ebenso zeigen sie weitgehend identische Ausprägungen in Bezug auf den gebotenen Mitgliedernutzen (Member Value), zum Beispiel bei Themen wie Nachbarschaft, Sicherheit, Informations- und Kommunikationspolitik.
Insgesamt zeigt sich, dass Wohnbaugenossenschaften mit unterschiedlichen Graden der Professionalisierung – von komplett hauptamtlich bis hin zu komplett ehrenamtlich verwaltet – in gleichem Masse erfolgreich sein können im Sinne einer hohen Mitgliederzufriedenheit. Im Falle einer Expansion oder einer Fusionsabsicht kann es durchaus sinnvoll sein, das ehrenamtliche Modell zugunsten einer hauptamtlichen Verwaltung aufzugeben. Dennoch sollte ein solcher Schritt gründlich überlegt werden, geht doch mit einer zunehmenden Professionalisierung oftmals auch eine Veränderung der genossenschaftlichen Kultur einher und es besteht die Gefahr einer verminderten Teilnahme- und Mitwirkungsbereitschaft.

VMI-Studie

Die Daten der vorliegenden Analyse zur Professionalisierung in Schweizer Wohnbaugenossenschaften basieren auf der Studie «Member Value in Wohnbaugenossenschaften» des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg in Kooperation mit dem Verband Wohnbaugenossen-schaften Schweiz. An der Studie, die 2016 abgeschlossen wurde, nahmen 120 Wohnbaugenossenschaften und 

über 1500 Bewohnerinnen und Bewohner teil. Untersucht wurde, was Mitgliedern besonders wichtig ist und welche Bedürfnisse von den Genossenschaften erfolgreich abgedeckt werden. Ein separater Befragungsteil richtete sich an die Managementverantwortlichen.
Zentrale Erkenntnisse der Studie sind online (Member Value in Wohnbau-genossenschaften) abrufbar.