Trotz hohen Preisen kommen auch Baugenossenschaften auf dem Immobilienmarkt zum Zug

Monopoly mit Mehrfamilienhäusern

Das Preisniveau für Mehrfamilienhäuser ist vor allem in den Städten so hoch wie noch nie zuvor. Aufsichtsbehörden wie die Finanzmarktaufsicht (Finma) warnen laufend vor einem «Ungleichgewicht». Genossenschaften, die sich nach der Kostenmiete richten, können kaum noch mithalten. Trotzdem gelang es jüngst mehreren gemeinnützigen Bauträgern, den Zuschlag zu bekommen.

Von Jürg Zulliger | Bilder: Logis Suisse, Google Maps | März 2019

Erst kürzlich war auf einem Immobilienportal ein Mehrfamilienhaus mitten in der Stadt Zürich zum Kauf ausgeschrieben: ein renoviertes Jugendstilhaus, Baujahr 1899, mit zehn kleinen 1- und 2 ½-Zimmer-Wohnungen. Der Kaufpreis war mit 11,2 Millionen Franken angegeben. «Attraktive Stadtlage» und verkehrsberuhigte 30er-Zone in Zürich-West waren als Pluspunkte angeführt. Wörtlich stand in der Anzeige: «Eine seltene Gelegenheit für Menschen, die nach einer langfristig soliden Anlagemöglichkeit suchen.» Umgerechnet auf die einzelnen Einheiten entspricht dies einem Marktwert von über einer Million Franken für eine 1- beziehungsweise 2 ½-Zimmer-Wohnung. Viele Marktbeobachter sprechen für gute Stadtlagen in Zürich, Basel oder Bern inzwischen denn auch von «irrationalen Preisen.»

Historischer Höchststand
Die übliche Prozedur sieht meist so aus, dass die Verkäuferschaft oder ein beauftragter Immobilienmakler ein Bieterverfahren durchführt. Dabei wären die im Beispiel genannten
11,2 Millionen Franken erst der Startpreis! In jeder Runde haben alle Interessenten die Möglichkeit, ihr Gebot zu erhöhen. Kein Wunder, dass sich dabei die Preise weiter hochschaukeln. Der Überschwang in diesen Bieterverfahren und die Überhitzung auf dem Immobilienmarkt bereiten längst auch den Aufsichtsbehörden, der Finanzmarktaufsicht (Finma) und der Nationalbank (SNB), Sorgen. Während in einer ersten Phase des Immobilienbooms nach 2010 vor allem Eigentumswohnungen und im Allgemeinen Eigenheime «unter Beobachtung» standen, sind nun die Mehrfamilienhäuser auf der «Watchlist». «Die Preise für Renditeliegenschaften haben historische Höchststände erreicht», warnt Tobias Lux, Sprecher der Finanzmarktaufsicht Finma. Die Behörden haben daher bereits letztes Jahr ihre Kontrollen bei den kreditgebenden Banken verschärft.
Gemeinnützige Bauträger und Genossenschaften sehen sich in diesem Umfeld mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen haben sie kaum reelle Chancen, Höchstpreise zu zahlen. Denn mit dem Modell der Kostenmiete wären solche Spitzenpreise ganz einfach nicht finanzierbar. Zum anderen besteht die Gefahr, auf die Angebote von zwielichtigen Zwischenhändlern hereinzufallen. Jörg Vitelli, Präsident des Regionalverbandes Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz, sagt dazu: «Es kommt immer wieder vor, dass Immobilienhändler den Genossenschaften fragwürdige Angebote unterbreiten.» Zum Teil handle es sich ganz einfach um die schlechtesten Objekte, die sonst niemand haben wolle. Entweder sind die Liegenschaften in diesen Fällen in desolatem Zustand bei zugleich hohem Mietpreisniveau. Oder es handelt sich um besonders exponierte Lagen, etwa an stark befahrenen Strassen.

Um fünfzig Prozent überboten
Die Nachfrage nach Mehrfamilienhäusern in den Städten sei nach wie vor enorm, bestätigt Jan Baumgartner, Geschäftsführer der Zürcher Baugenossenschaft Zurlinden. Er schildert ein aktuelles Beispiel aus einem Zürcher Aussenquartier: Auch hier waren die Interessenten eingeladen, in einem Bieterverfahren mitzumachen, um den höchstmöglichen Marktpreis zu erzielen. «Nach Auskunft des Verkäufers wurden wir massiv überboten, um rund fünfzig Prozent», schildert Jan Baumgartner den Fall. Seriöse Interessenten fühlen sich mitunter vor den Kopf gestossen – entweder angesichts der aggressiven Verkaufsmethoden oder aufgrund der Intransparenz. «Wir haben im Einzelfall keine Möglichkeit, die angegebenen Gebote zu überprüfen», so der Geschäftsleiter der Zurlinden.
Doch mitunter zahlen sich Geduld und Verhandlungsgeschick aus. Jüngst ist es der Genossenschaft Zurlinden gelungen, in Zürich Altstetten ein Objekt mit 51 Mietwohnungen zu kaufen. Verkäuferin war eine Privatperson, die dieses «Monopoly» offenbar nicht mitmachen wollte. Laut einem Pressebericht lag der Kaufpreis um eine sechsstellige Summe tiefer als die Gebote von Investoren. «Unsere Zusagen gegenüber der Mieterschaft dürften bei den Verhandlungen eine zentrale Rolle gespielt haben», sagt Jan Baumgartner. Ein gemeinnütziger Bauträger gibt gegenüber den Mieterinnen und Mietern verschiedene Zusicherungen ab. Dazu zählen etwa das Modell der Kostenmiete oder auch ein sorgfältiger Umgang bei Sanierungen. Die Baugenossenschaft Zurlinden wird im Zug von Erneuerungen Umsiedlungen innerhalb des eigenen Wohnungsbestandes organisieren können.

In ihrem Stammquartier im Kreis 4 konnte die Zürcher Genossenschaft Dreieck vier Mehrfamilienhäuser erwerben.

Glücksfall mitten in Zürich
Die Zürcher Genossenschaft Dreieck vermeldet ebenfalls einen Erfolg: Konkret geht es um vier Mehrfamilienhäuser im Kreis 4 in der Stadt Zürich (Dienerstrasse, Nietengasse und Herdernstrasse). Alles in allem sind es 26 Wohnungen und sieben Gewerberäume. Die Verkäuferin, die Förderstiftung Musikschule Konservatorium, führte dazu ein zweistufiges Bieterverfahren bei einem Mindestpreis von 16,1 Millionen Franken durch. In den direkten Verhandlungen einigten sich die beiden Parteien auf 17,5 Millionen Franken. Ausschlaggebend waren seitens der Genossenschaft Dreieck, dass kein allzu grosser Sanierungsbedarf sichtbar ist. An der Generalversammlung zeigte die Genossenschaftspräsidentin Corinna Heye auf, dass die langfristige Finanzierung mit den aktuellen Mietzinseinnahmen gesichert ist.
Entscheidend war in jedem Fall der Wille der Stiftung, das Bieterverfahren nicht auf die Spitze zu treiben. Externe Beobachter schätzen, dass für dieses Paket Spitzenpreise von
25 bis 30 Millionen möglich gewesen wären. «Diese Gelegenheit war für uns ein absoluter Glücksfall», so Alexandra Wymann, Geschäftsleiterin der Genossenschaft Dreieck. Denn zum einen wurden damit jahrelange Bemühungen mit einem erfolgreichen Abschluss belohnt. Zum anderen suchte die Genossenschaft gezielt Objekte im näheren Stadtumfeld, um die bestehenden Gebäude sinnvoll zu erweitern. Auch die Mieterinnen und Mieter in den vier Mehrfamilienhäusern dürfen aufatmen. Die Genossenschaft Dreieck will alles
daran setzen, sie in die Genossenschaft zu integrieren, und ihnen natürlich die Möglichkeit einräumen, dort Mitglieder zu werden.

Sicherheit und faire Mieten als Argumente
Aktiv ist auch die 1973 gegründete Logis Suisse AG: Im letzten Dezember erwarb die gemeinnützige Gesellschaft mit Sitz in Baden (AG) ein Paket mit 94 Wohnungen. Verkäuferin ist die Versicherung Bâloise. Zum einen handelt es sich um eine Überbauung aus den 1980er-Jahren in St. Gallen mit 63 Familienwohnungen, zum andern sind es 31 Wohnungen aus den 1970er-Jahren an guter Lage in Obfelden (ZH). Die Mieten in den Wohnhäusern seien moderat, wie Logis-Suisse-Geschäftsleiterin Jutta Mauderli erläutert: «Mit solchen Kaufgelegenheiten geht es uns letztlich darum, die Häuser der Spekulation zu entziehen.» Grundsätzlich prüfe die Logis Suisse Liegenschaften in der ganzen Deutschschweiz. Wichtige Voraussetzungen seien eine gute Lage, eine gute Erschliessung und die lokalen Gegebenheiten. «Wir überlegen uns immer, wo es uns wirklich braucht und ob eine Wohnungsnachfrage nachhaltig belegt ist», so Jutta Mauderli. Die Transkation zwischen der Bâloise und der Logis Suisse kam dank eines guten Netzwerks zustande – nicht zuletzt der Verankerung der Firma Markstein in Baden, die das Mandat für die operative Führung der Logis Suisse innehat.
Dabei hat das Team um Geschäftsleiterin Jutta Mauderli von Anfang an kommuniziert, dass es sich um ein Kaufangebot eines gemeinnützigen Bauträgers handelt. Wichtig war zunächst ein marktübliches Angebot im Rahmen des Bieterverfahrens. Ebenso viel Gewicht hatten aber Überlegungen zu den konkreten Plänen und zum Hintergrund des neuen Eigentümers. Denn die Logis Suisse legte im Rahmen der Verhandlungen ein Bekenntnis dazu ab, den Mietern Sicherheit und künftig faire Mieten bieten zu können. «Persönlich bin ich überzeugt», so Jutta Mauderli, «dass gerade bei einer grossen Versicherung die Reputation und die Wirkung nach aussen eine wesentliche Rolle für den Entscheid spielt.» Hinzu kommen ganz praktische Aspekte wie etwa schlanke Abläufe und kurze Entscheidungswege. Bereits etablierte und gewachsene Bauträger profitieren auch davon, dass sie über eine solide Eigenkapitalbasis verfügen. Laut Jutta Mauderli erwarb die Logis Suisse das erwähnte Liegenschaftspaket mit einem Eigenkapitalanteil von rund 35 Prozent.

Nachlass­planung mit Genossenschaft
Alles in allem bieten sich verschiedene Möglichkeiten und Varianten, Akquisitionen zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern. Die Zürcher Genossenschaft ASIG äufnet zum Beispiel einen Fonds für Landerwerb. Zweck ist die Verbilligung von Grundstückkäufen oder beim Landanteil von bestehenden Liegenschaften. Dies erhöht die Konkurrenzfähigkeit der Genossenschaft auf dem Liegenschaftenmarkt.
Der Regionalverband Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz setzt vor allem auf die Sensibilisierung von sozial verantwortungsvollen Hauseigentümern und privaten Verkäufern. Unter dem Titel «soziale Nachlassplanung» lancierte der Verband eine entsprechende Kampagne. Die Genossenschaften argumentieren dabei unter anderem mit der Sicherung von bezahlbarem Wohnraum. Gute Kontakte, Mund-zu-Mund-Propaganda und Sensibilisierung entfalten ohne Zweifel Wirkung, wie Jörg Vitelli betont: «Der Genossenschaft Gewona Nord-West ist es zum Beispiel in den letzten Jahren gelungen, vier Liegenschaften aus einer sozialen Nachlassplanung zu erwerben.»