Eine Studienreise von Wohnbaugenossenschaften Schweiz führte nach Dänemark

Kreative Wohnformen

Kopenhagen ist ein Mekka für Design-Freaks. Hinter schönen Formen und Fassaden verbirgt sich eine Haltung, die dem Menschen und dem Wohnen viel Platz einräumt. Wie sich auf einer Studienreise im Rahmen unserer Weiterbildung zeigte, wirkt sich das auf die Wohnbaupolitik aus.

Von Franz Horváth | Bilder: Franz Horváth | September 2017

Unsere erste Begegnung war die mit Lise-Lotte Andersen, der aufmerksamen Chefin des Hospizes Søndergård in Måløv, nordwestlich von Kopenhagen. Dieses gastfreundliche Haus für Sterbende zeigte den Besuchern aus der Schweiz und Österreich einprägsam, was es heisst, das gute Leben in den Vordergrund zu rücken. Die Zimmer des Hospizes bieten einen wunderschönen Blick in die Natur. Die Empfangs- und Aufenthaltsräume sind freundlich gestaltet, auch an ein Spielzimmer für die zu Besuch weilenden Enkelinnen und Enkel wurde gedacht.
Die Rechte der Sterbenden nehmen im Leitbild des Hospizes eine zentrale Rolle ein. Doch auch das Personal erhält von der Chefin hohe Wertschätzung. Lise-Lotte Andersen weiss: Die Arbeit in einem Hospiz ist belastend, die Mitarbeitenden benötigen Unterstützung. Sie erhalten darum Supervision und Weiterbildung und danken dafür mit einer hohen Betriebstreue. Im Hospiz helfen zudem 40 Freiwillige aus der Umgebung mit. Sie tragen viel zur Atmosphäre in den Räumen bei. Das Hospiz wirkt auch nach draussen. Manchmal erholen sich die Gäste wieder und kehren zurück nach Hause, oder sie werden von Anfang an dort betreut. Die öffentliche Hand übernimmt übrigens die Kosten für die Unterbringung und die Anfahrt innerhalb der Region. Wer will, darf sich auch für ein Hospiz in einer andern Region anmelden. Der dänische Staat sicherte 2004 durch ein Gesetz den Bau von Hospizen in allen Regionen.

Die Siedlung Sundbygård ist ein Beispiel für einfaches, vorgefertigtes Bauen.

Wille zur Durchmischung
Aber die Däninnen und Dänen wohnen natürlich auch vor dem Sterben. Das Hospiz ist eingebettet in ein Neubauquartier, zusammengewürfelt aus allen Wohnformen. Das neue Måløv umfasst Genossenschaftssiedlungen für Familien und für Ältere, Eigentumswohnungen und normale Mietwohnungen, Einfamilien-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser, ein Pflegezentrum mit einer Cafeteria und Pflegewohnungen, ein Quartierzentrum und eine der für Dänemark typischen Seniorenwohngemeinschaften. Wie in anderen Orten zeigt sich hier ein starker Wille, die Durchmischung zu fördern und lebendige Nachbarschaften zu formen. Man will weg von der Monokultur, die früher die Vorstädte Kopenhagens geprägt hat. Zu diesem Plan gehören insbesondere Siedlungen, die darauf abzielen, auch etwas für das kleine Portemonnaie anzubieten.
Das Programm «AlmenBolig+», mit dem die Entwicklung einfacher, vorgefertigter Modulbauten gefördert wurde, hat dazu beigetragen, mehr zahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Bewohner nehmen es gerne in Kauf, dass sie Ausbauarbeiten selbst übernehmen müssen. Sie können auch auf Wände verzichten und damit Geld sparen. Als Beispiel für eine solche kostenoptimierte Siedlung besichtigten wir in Kopenhagens Süden das Projekt Sundbygård. Weggespart wurde dort das sonst in Dänemark oft anzutreffende Gemeinschaftshaus, aber einen Spielplatz gibt es, und zu einer Zeile mit schmalen Reihenhäusern, die nur einen Raum breit und drei Stockwerke hoch sind, gehören grosszügige Aussenräume. Zum sichtlichen Wohlbefinden der Einwohner trägt bei, dass sie untereinander vernetzt sind über die für Dänemark typische Bewohnerdemokratie. Zudem nutzen die Bewohner einen SMS-Warndienst zur Einbruchsprävention, über den auffällige Beobachtungen gemeldet werden können.

Gemeinsame Verwaltung
Beim Thema Demokratie lohnt es sich, zurückzukommen auf die Seniorenwohngemeinschaft in Måløv. Sie heisst Kløvermarken (Kleefeld) und umfasst 19 Häuser sowie ein Gemeinschaftshaus unter anderem mit Küche, Saal, Gästezimmer und Werkstatt. Die gemeinschaftlichen Nutzungen machen 25 Prozent der Fläche aus, was bei der Vermietung auch separat ausgewiesen wird. Die Bewohner wissen somit sehr genau, dass sie einen Teil der Miete für Gemeinschaftsflächen zahlen. Deren Nutzung ist über eine Vielzahl von «Klubs» organisiert, in denen sich Dutzende von Aktivitäten entfalten. Die private Nutzung der Infrastruktur ist möglich, aber pro Haushalt begrenzt. Die Organi­sation besorgen Arbeitsgruppen und Verantwortliche, die an der Generalversammlung ­bestimmt werden. Wichtige Entscheidungen fällt die Versammlung. Für deren Vorbereitung und das Budget wählt diese einen Vorstand, der den Kontakt zum gemeinnützigen Bauträger «3B» sichert, dem die Seniorenwohngemeinschaft zugehört.
Die gemeinnützigen Bauvereinigungen, die über diesen lokalen Organisationseinheiten stehen, haben eine Controllingfunktion. Ihre Vorstände werden von Bewohner- und Mitarbeitervertretungen gewählt. Die übergeordnete Organisation führt die Warteliste, über die die Wohneinheiten vergeben werden. Dies hat für Wohnungssuchende den Vorteil, dass sie ihr Interesse für eine Vielzahl von Objekten gleichzeitig anmelden können. In der Region Kopenhagen betreiben zudem mehrere Dutzend ­gemeinnützige Bauträger zusammen eine Ver­waltungsorganisation, die etwa 50 000 Wohnungen und auch Zimmer für Studierende ­betreut. Das erleichtert erneut die Wohnungs­suche, weil man über das Netz sein Suchprofil erfassen kann und gleichzeitig bei verschiedensten Bauträgern angemeldet ist. Auch den Wohnungswechsel fördert dies. Wer bei einem der angeschlossenen Bauträger eingemietet ist, profitiert von einer Personenfreizügigkeit zwischen den Bauträgern und lässt sich bei Bedarf in die übergeordnete Warteliste eintragen. Von diesem Modell könnten auch die Schweizer Genossenschaften etwas lernen!

Die Überbauung Teglvärkshavnen im umgenutzten Kopenhagener Südhafen bietet einen Mix von Eigentum und Sozialwohnungen, die sich äusserlich nicht unterscheiden.

Die Grosssiedlung Farum Midtpunkt aus den 1970er-Jahren bietet auf terrassierten Zeilenbauten über 1500 Wohnungen.

Mitwirkung erwünscht
Aufgefallen ist uns in Dänemark die Vielfalt der Ansätze, mit der an der Förderung der Durchmischung gearbeitet wird. Ein spektakuläres Projekt, zumindest von der Idee her, ist das Langgadehus. Im Sockel dieser Hofrandbebauung befinden sich Pflegewohnungen, öffentliche Nutzungen und Gemeinschaftsräume. Im oberen Geschoss sind über eine öffentliche Terrasse erschlossene Familienwohnungen angeordnet, die einen Blick in den Hof erlauben, der dem Seniorenzentrum vorbehalten ist. Diese Trennung der Ebenen markiert aber auch die Grenzen des Zusammenlebens.
Etwas anderes bietet die Überbauung Grønhøj, die in der Nähe von Måløv, aber in der Nachbargemeinde Ballerup liegt, die sonst stark von eintönigen Grosssiedlungen geprägt ist. Das Ziel war hier, ein Quartier zu bauen, in dem sich die Eigentums- und Wohnungstypen abwechseln, in dem gewerbliche Nutzungen anzutreffen sind, in dem Kunst, Ökologie und Mitwirkung eine Rolle spielen. Grønhøj ist sozialer Wohnungsbau, gehört ebenfalls zu «3B» und bildet einen Teil dieses neuen Quartiers. Maiken Böcher, die uns durch die Siedlung führte, betonte, dass die Gemeinschaft hier eine grosse Rolle spielt. Man versuche den Bewerbern zu vermitteln, dass Nachbarschaftshilfe und die Übernahme von Verantwortung sehr erwünscht seien. Doch einen Zwang wolle und könne man nicht ausüben, weil die Auswahl der Neumieter nicht den Bewohnern zukommt.

Mieter oder Mitbesitzer
Zur Durchmischung trägt bei, dass es zwei verschiedene Mietmodelle gibt. Ein Viertel der vom Architekturbüro Vandkunsten entworfenen Holzreihenhäuser wird von Mietern belegt, die ein Depot von drei Monatsmieten hinterlegen. Drei Viertel sind sogenannte Mitbesitzer, die bei den grösseren Häusern mit 110 Quadratmetern Wohnfläche bis zu 40 000 Franken Kapital einbringen, das sie nach dem Auszug wieder zurückerhalten, wenn sie das Gebäude gut unterhalten. Sie zahlen dafür weniger Miete, müssen aber den kleinen Unterhalt und Geräte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke selbst berappen.
Eine neuere Variante für einen solchen ­Bewohnermix bildet die Überbauung Teglvärkshavnen im umgewidmeten Kopenhagener Südhafen. Diese Häuser liegen direkt über dem Wasser, ein Teil davon sind Eigentumswohnungen, der Rest Sozialwohnungen. Äusserlich ist aber kein Unterschied erkennbar. Beide nutzen ein Gemeinschaftsgebäude mit Seesicht und Bootsanlegeplätze, einen Luxus, den man sich wahrscheinlich nur in Dänemark erträumen darf ...

Grosssiedlung aufgewertet

Die Grosssiedlung Farum Midtpunkt ist mit ihrer brutalistischen Architektur eine Herausforderung. Sie stammt aus den 1970er-Jahren und umfasst terrassierte Zeilenbauten mit über 1500 Wohnungen. Die Siedlung hat ihre Qualitäten, geriet aber aus verschiedenen Gründen in eine eigentliche Abwärtsspirale mit hohen Leerständen. Inzwischen wurde die Siedlung saniert, und in einzelnen

Zeilen wandelten sich die Nutzungsformen. So finden sich dort jetzt auch eine Seniorenwohngemeinschaft, ein Pflegezentrum und eine Reha-Institution. Ein Laden, ein Restaurant, ein Kebab-Stand und besser nutzbare Aussenräume sowie Wohnungserschliessungen ergänzen das Angebot. Dank diesen Massnahmen herrscht wieder Vollvermietung.