Tipps vom Expertenduo für eine klimaangepasste Siedlungsentwicklung

«Das Thema ist dringlich!»

Mit dem Klimawandel werden Hitzeperioden häufiger und länger. Das belastet die Städte besonders stark – ihre Temperatur ist heute schon bis zu zehn Grad höher als die des Umlands. Wie also sollen Gemeinden und Bauträger planen und bauen, um dem Hitzeinseleffekt zu begegnen? Antworten kennen Cordula Weber und Daniel Keller, Grünraumexperten und Mitautoren der kürzlich vom Bund herausgegebenen Publikation «Hitze in Städten».

Interview: Liza Papazoglou | Bilder: Hannes Henz, zVg, WOHNEN | Juni 2019

Wohnen: Sie beide arbeiteten lange in der städtischen Freiraumplanung von Zürich und kennen die Hitzeinselproblematik längst. Beim Anblick neuerer Siedlungen hat man aber den Eindruck, das Thema sei bei Planern und Bauherren noch kaum angekommen – Bäume und Grünflächen fallen der Verdichtung zum Opfer, Böden werden versiegelt, Gebäuderiegel stauen die Hitze. Was läuft falsch?

Cordula Weber: Offenbar mangelt es bislang an Wissen oder Sensibilisierung. Dabei ist das Thema dringlich! Bei der Güterabwägung wird letztlich oft nur die Gestaltung gewichtet statt Faktoren wie Klimatauglichkeit oder Biodiversität. Natürlich spielen auch – reale oder vermeint­liche – Kosten eine Rolle. Vielleicht hat man sogar eigentlich gut geplant, und in den Visualisierungen sind schöne grosse Bäume eingezeichnet. Geht es dann aber ums Bauen, fallen diese als Erstes weg, weil die Tiefgarage doch wichtiger ist.
Daniel Keller: Auch bei den Gemeinden gibt es erst wenige Beispiele für spezifisch klima­be­zogene Aktionen oder Instrumente. Viele Massnahmen, die auch aus hitzetechnischer Sicht nützlich sind, wurden aus anderen Gründen ergriffen, zum Beispiel zur Biodiversitätsförderung oder für mehr Aufenthaltsqualität. Das gab dann Synergieeffekte, indem man mit der Aufwertung von Grünräumen auch gleich etwas für ein besseres Stadtklima getan hat.

Nun haben aber offenbar der Hitzesommer 2018 und der Klimastreik der Jugendlichen die Leute aufgerüttelt. Der Klimawandel und seine Folgen sind plötzlich überall Thema. Letzten November erschien auch die Broschüre «Hitze in Städten». Wie kam es dazu?

D.K.: Der Bund hat bereits 2012 eine Strategie und einen Aktionsplan zum Thema entwickelt, worauf dann einige Pilotprojekte in der ganzen Schweiz durchgeführt wurden. Diese erhielten fast nur in der Fachwelt Beachtung. Man wollte die guten Beispiele sichtbarer machen und die Erkenntnisse Gemeinden sowie Privaten zur Verfügung stellen. Deshalb wurde die Broschüre initiiert. Sie war drei Jahre in Arbeit und erschien zufällig just im passenden Moment.
C.W.: Der letzte Sommer ist den Leuten nahegegangen. Zwar gab es bereits die heissen Sommer 2003 und 2015. 2018 schlug dann sämtliche Rekorde. Vor allem aber hat die extreme Trockenheit mit ihren Bildern von braunen, dürren Wiesen, sterbenden Fischen und Kühen, die wegen Futtermangel notgeschlachtet werden mussten, betroffen gemacht. Das hat wohl für die Hitzethematik sensibilisiert.

Ihre Publikation hat einen Nerv getroffen – die Broschüre war bereits am Tag ihres ­Erscheinens vergriffen und musste nachgedruckt werden. Was hat sich seitdem getan?

C.W.: Die Resonanz war tatsächlich gross, und wir sind immer noch von Anlass zu Anlass unterwegs. Im Unterschied zu früher ist das Thema in der Breite angekommen. Jetzt wenden sich nicht mehr nur Universitäten oder Umweltfachleute an uns, sondern auch Gemeinden und Planende. Auch bei der Bevölkerung ist die Hitzeproblematik omnipräsent, und bei grösseren Bauherren und Investoren ist ebenfalls ein Umdenken feststellbar. Es gibt eine ganz neue Dynamik – obwohl die Problematik an sich ja nicht neu ist.
D.K.: Mittlerweile ist auch die zweite Phase mit Pilotprojekten des Bundes angelaufen. Beworben haben sich über hundertdreissig Projekte, von denen fünfzig bewilligt wurden. Dabei ist das Spektrum breit, von Anpassungen an die Trockenheit in der Landwirtschaft über Forschungsprojekte und kantonale Vorhaben bis zu Hitzeprojekten in Städten. Auch private Bauherren haben Anträge eingereicht.

Cordula Weber und Daniel Keller sind Geschäftsführende der StadtLandschaft GmbH. Die von den beiden Landschafts­architekten 2015 gegründete Firma ist spezialisiert auf Freiraumplanung. Zuvor war Cordula Weber seit 1994, Daniel Keller seit 2002 in verschiedenen Funktionen für die städtische Dienstabteilung Grün Stadt ­Zürich tätig. Sie sind Mitautoren der Ende 2018 von Bafu und Are herausgegebenen Publikation «Hitze in Städten».

Wie steht es um die Rahmenbedingungen in der Schweiz?

C.W.: Im Unterschied etwa zu Deutschland gibt es hier bis jetzt keinen generellen gesetzlichen Auftrag, klimagerecht zu planen. Dafür bräuchte es eine Anpassung der Gesetzesgrundlagen. Die Planungsautonomie liegt bei Kantonen und Gemeinden.
D.K.: Erste Kantone haben Klimaanalysen ­sowie Planungshinweise erstellt, zum Beispiel Zürich und Basel-Stadt. Aargau und Zug werden folgen. In die Richtpläne und Bauordnungen sind diese Grundlagen aber noch kaum eingeflossen. Bereits weit sind der Kanton Genf oder das ­Tessin, das neu von den Gemeinden in der kommunalen Richt­planung verlangt, dass sie von den Freiräumen her denken und Aussagen zur Klimaanpassung machen. Damit wirklich etwas ins Rollen kommt, reichen Vorgaben allein aber meist nicht, es braucht auch Sensibilisierung und Unterstützung in Form von finanziellen Mitteln oder Anreizen.
C.W.: Anreize sind gute Hebel. Lausanne verfügt schon länger über ein Projekt zur Finanzierung von Dachbegrünungen, Basel über eines zur Entsiegelung von Innenhöfen. Basel hat zudem mit dem zweckgebundenen Mehrwert­ausgleich seit langem ein ­gutes Instrument, um Freiräume aufzuwerten: Wer durch Ein- oder Umzonungen einen Mehrwert erfährt, zahlt ­einen Ausgleich in den städtischen Grünfonds. Es gibt also be­reits gute Ansätze. Was bisher ­fehlte, war eine expli­zite Ausrichtung auf die Hitzeproblematik.

Die zunehmende Hitze beeinträchtigt nicht nur Wohlbefinden und Lebensqualität beim Wohnen, sie gefährdet auch die menschliche Gesundheit und führt zu einem höheren Sterberisiko. Auch Bauträger sollten deshalb handeln. Was können sie konkret tun?

D.K.: Es reicht nicht, ein Bauprojekt am Schluss noch ein bisschen «hitzetauglich» machen zu wollen. Vielmehr muss das Thema von Beginn weg in die Planung einfliessen. Das heisst: ­Bereits in der Projektdefinition muss stehen, dass eine klimagerechte Siedlung entstehen soll. Dieser Auftrag ist den Architektinnen und Landschaftsarchitekten klarzumachen. Und man muss ihn über alle Stufen konsequent durchziehen – von der Wettbewerbsausschreibung über die Jurierung ­mit entsprechender Fachvertretung bis zur ­Ausf­­­üh­­rung. Das muss man in Projekten entsprechend gewichten und auch einfordern. Er­füllen Eingaben diese Anforderungen nicht, muss man sie zurück­weisen oder anpassen ­lassen.

Bei den konkreten Massnahmen nennt ­die Broschüre als wichtigen Ansatzpunkt, ­die «Siedlungsstruktur vom Klima her zu denken». Was bedeutet das?

D.K.: Dass man die klimatische Situation als Grundlage für die Planung nimmt. Sie sollte die Bebauungstypologie bestimmen und eine optimale Frischluftzufuhr und -zir­kulation gewährleisten. Grundregeln sind etwa, keine Riegel in den Hang zu setzen und offen statt geschlossen zu bauen. Wobei ­natürlich andere Anforderungen wie der Lärm- oder Emissionsschutz zu berücksichtigen sind. Da kann es Zielkonflikte geben.
C.W.: Gemeinden wie Zürich oder Basel bieten mit ihren Planungshinweiskarten bereits hervorragende Grundlagendaten zum Stadtklima. Wo solche nicht vorhanden sind, hilft es, den Bestand kritisch anzuschauen: Was macht die bestehenden Qualitäten aus? Wo gibt es Wind? Wo ist es angenehm in der Siedlung, wenn es heiss ist, wo nicht? Wo halten sich Leute gerne auf? Denkt man aus dieser Optik und führt das konsequent weiter, macht man schon vieles richtig.

Welche Grundsätze gelten ausserdem, wenn man klimaangepasste Siedlungen anstrebt?

D.K.: Unversiegelte Flächen und viel Grün, insbesondere Bäume, sowie Schatten und Wasser. Das Rezept ist simpel; man muss es aber auch umsetzen!


«Das Rezept ist simpel. Man muss es aber auch umsetzen!»


Sie plädieren für mehr Grünflächen, da diese als «cool spots» dienen. Worauf sollten Baugenossenschaften achten?

D.K.: Beim Grün lautet die Devise immer: möglichst viel und möglichst gross, auch bei einer baulichen Verdichtung. Und möglichst viel­fältig und naturnah, dann tut man auch noch ­etwas für die Biodiversität. Das gilt für alle ­grünen Strukturen, auch für Bäume, Hecken und ­Wiesen oder Gebäudebegrünungen. Wichtig ist Grün, weil es tagsüber durch Beschattung und Verdunstungskühlung zum bioklimatischen Aus­gleich beiträgt. In der Nacht entsteht über Grünflächen Kaltluft, die – sofern die ­Flächen genügend gross sind – auch in benachbarte Sied­lungsräume strömt.
C.W.: Ausserdem sollte man bestehende Grünflächen und vor allem Bäume erhalten. Nicht nur, weil diese identitätsbildend sind und mit dem Alter an Attraktivität gewinnen, sondern auch, weil ihr funktionaler Wert zunimmt. Alte Bäume mit grossem Kronenvolumen entfalten eine sehr viel höhere Wirkung als junge Pflanzen – sie spenden mehr Schatten, transpirieren bedeutend grössere Wassermengen, filtern mehr Schadstoffe und sind Lebensraum für sehr viel mehr Insekten- und Tierarten. Sie sind also enorm wichtig für das ­Mikroklima und die Ökologie. Das ist vielen Bauträgern nicht bewusst, oder aber sie gewichten es in der Güterabwägung zu wenig. Viele wertvolle ­Bäume fallen Tiefgaragen zum Opfer; darüber werden wegen der dünnen Substratschichten Bäume nie mehr wirklich gross wachsen und so auch nie ihr Wirkungspotenzial erfüllen können.

Auch begrünte Fassaden und Dächer helfen dem Stadt­klima. Städte wie Singapur oder Wien sind ­da bereits viel weiter als die Schweiz. Weshalb sollten Bauherren sie auch hierzulande erstellen?

C.W.: Weil sie eine hohe Wirkung haben. Gebäudebegrünungen sind nicht nur gut für den Temperaturausgleich, sie schaffen auch sonst viele Mehrwerte für die Bewohnerinnen und Bewohner. Menschen schätzen Bepflanzungen sehr und fühlen sich wohl in solchen Umgebungen. Forschungsarbeiten haben das bewiesen – und ebenso, dass der Immobilienwert steigt, wenn Grün am und ums Gebäude vorhanden ist.
D.K.: Fassadenbegrünungen beschatten und kühlen, indem sie Wasser verdunsten. Dieses müssen sie zuerst aufnehmen. Es ist sinnvoll, dafür Regenwasser zu nutzen und dies gleich mit einem guten Wassermanagement zu verbinden. Oder man greift auf erdgebundene Bepflanzungen zurück, die überdies günstig und pflegearm sind. Wählt man standortgeeignete Pflanzen und passende Systeme, klappt das sehr gut. Dann sind auch Schäden, vor denen sich manche fürchten, kein Thema.
C.W.: Bei Dachbegrünungen gibt es Bedenken wegen Konflikten mit der Photovoltaik. Studien haben aber gezeigt, dass ­Solaran­lagen oft überhitzen und in Kombination mit Be­grü­nungen sogar effizienter funktionieren. Dachbe­grü­nun­­gen sind bisher meist extensiv. Aus Klimasicht wäre es besser, Dächer intensiv zu begrünen und mit Wasserspeichern für Trockenperioden umzusetzen, die auch für die Bewässerung von Fassadengrün oder Grünflächen nutzbar sind. Intensiv begrünte Dächer isolieren Gebäude sehr gut und wirken als Hitze- wie auch als Kälteschutz. Ausserdem können sie wertvolle Lebens- und Erholungsräume sein.

Auch die zunehmende Versiegelung ist ein Problem. Was sind da die Knackpunkte?

C.W.: Versiegelte Flächen absorbieren die ­Sonnenstrahlung und heizen die Umgebung auf. Sie sollten deshalb möglichst minimiert werden. Aus Kostengründen wird dennoch oft ­lieber asphaltiert, denn Erstellung und Unterhalt sind einfach und günstig. Unversiegelte Flächen hingegen müssen gepflegt werden. Eine Rolle spielen aber auch die Bilder in den Köpfen: Naturnahe Gestaltung hat für viele immer noch den Touch des Ungepflegten. Dabei lassen sich ästhetische Ges­taltung, Naturnähe und verschiedene Nutzungsansprüche bestens kombinieren. Das beweisen Beispiele wie die Siedlungen Hegianwandweg der Familien-heim-Genossenschaft Zürich (FGZ) oder Orenberg der Gemeinnützigen Wohnbau­genossenschaft Winterthur (GWG) in Ossingen. Offen­bar braucht es aber bei vielen Leuten noch ein Umdenken. Eine Architektin hat zu mir einmal gesagt: «Wenn die Architektur gut ist, braucht es kein Grün.» Die Bewohnenden sehen das anders.
D.K.: Im Übrigen gibt es auch an Stellen, wo es Hartflächen braucht, etwa bei Feuerwehrzufahrten oder Parkplätzen, gute Alternativen zu flächigem
Asphalt. Da kann man gut auf durchlässige Beläge wie Fugenpflaster oder Schotterrasen zurückgreifen. Gewisse versiegelte Flächen sind aber durchaus möglich – wenn das Verhältnis stimmt.

Grosse Grünräume mit viel Schatten und unversiegelten Flächen sorgen für ein an­genehmes Mikroklima. Im Fall der FGZ-Siedlung Brombeeriweg erhielt auch die ­naturnahe Gestaltung grosses Gewicht.

Wann macht es für Bauträger Sinn, offene Wasserflächen oder ein Regenwasser­management einzuplanen, wie Sie es in der ­Broschüre vorschlagen?

D.K.: Wenn man langfristig plant: immer. Man sollte bei jedem Objekt Wasser thematisieren, selbst wenn man nur einen kleinen Garten hat. Bei grösseren Siedlungen ist in jedem Fall auch erlebbares Wasser ein Thema, bei dem Kühlwirkung und Erlebnisqualitäten vereint werden. Ein gutes Wassermanagement wird immer wichtiger, weil der Klimawandel nicht nur zu mehr Hitze, sondern auch zu mehr Starkregen führt. Es braucht Rückhalte- und Speichermöglichkeiten, um Hochwasserspitzen zu brechen.

Welche Aspekte sollte man ausserdem ­beachten?

C.W.: Beschattung und Oberflächenbeschaffenheit. Das geht oft vergessen. Vielleicht waren wir bis jetzt einfach noch nicht genug hitze­belastet. In südlichen Ländern ist hingegen klar, dass ­Dächer weiss sind, damit sie sich nicht so stark aufheizen, und dass Gassen eng sind, so dass genug Schattenwurf entsteht. Bei uns war man bis jetzt darauf aus, möglichst viel Wärme und Licht in die Häuser zu lassen, und hat immer grössere Fenster gebaut. Das wird man über­denken müssen. Gute Beschattung wird an ­Bedeutung ­gewinnen. Neben konstruktiven Möglichkeiten bieten sich grosse Laubbäume an, die im Sommer sowohl die Gebäude als auch Wege und Aufenthaltsbereiche vor Sonnen­einstrahlung schützen. Auch die Wahl der Ober­flächenmaterialien spielt eine Rolle. Sie sollten wenig Wärme speichern und die ­Einstrahlung reflektieren. Gut geeignet sind helle Materialien und natürliche Materialien wie Holz.

Gibt es noch etwas, das Sie Baugenossenschaften mit auf den Weg geben möchten?

D.K.: Dass sie den Mut haben, etwas zu machen. Sie sollten nicht ewig analysieren und am Schluss dann gar nichts umsetzen, weil ein Gesamtkonzept zu teuer wird. In solchen Fällen ist es besser, einfach loszulegen, klein anzufangen und schnell Wirkung zu erzielen. Eine Genossenschaft kann ja auch mal etwas an einem Ort ausprobieren und schauen, wie es funktioniert. Beachtet man die einfachen Grundsätze – viel und vielfältiges Grün mit Bäumen, Wasser, Schatten –, kann man nicht viel falsch machen. Wie gut ein pragmatischer Ansatz funktioniert, zeigt die Stadt Sion im Wallis. Dort hat man, wo es gerade ging, Anpassungen vorgenommen und zum Beispiel einen versiegelten Parkplatz mit einem durchlässigen hellen Belag, Bäumen und Wasserbecken aufgewertet. Simpel, aber wirkungsvoll – und zum Nutzen der Bevölkerung. Es muss nicht gleich alles perfekt sein – Hauptsache, man geht das Thema an!