Das Architekturbüro Enzmann Fischer Partner zu Tendenzen in der Küchenplanung

«Die Wohnungen werden kleiner – die Küchen trotzdem grösser»

Das Architekturbüro Enzmann Fischer Partner ist im genossenschaftlichen Wohnungsbau verankert. Die Architekten sehen die Baugenossenschaften als Innovationsträger, die es wagen können, über den Rahmen gängiger Normen hinauszublicken. Welche Entwicklungen derzeit in der Küche aktuell sind, erklären Evelyn Enzmann, Martin Bucher und René Müller bei einem Gespräch in ihrem Zürcher Büro.

Interview: Mirjam Rombach | März 2020 | Bilder: Mitch Enzmann, Jos Schmid

Wohnen: Hat sich der Stellenwert der Küche im genossenschaftlichen Wohnungsbau über die Jahrzehnte verändert?

Evelyn Enzmann: Eigentlich kaum. Die Küche war schon immer wichtig, sie ist das Herz der Wohnung. Ich war lange in der Baukommission der FGZ. Wir führten dieselben Diskussionen, die heute noch aktuell sind – etwa, ob man lieber am Fenster essen oder kochen möchte.
Martin Bucher: Die Küche nimmt im Wohnungsgrundriss eine Sonderstellung ein, weil sie durch Anschlüsse und Geräte stark determiniert ist. Ein Bett kann man umstellen, die Küche nicht. Jeder hat eine Meinung zur Küche, denn jeder kocht. Gleichzeitig kommen punkto Funktionalität sehr viele Anforderungen an den Grundriss zusammen. Dafür ist der Fächer der Küchentypologien aufgegangen. Mit der Ausnahme, dass die abgeschlossene Laborküche kaum noch gebaut wird, weil sie flächenineffizient ist.

Der Wohnflächenverbrauch ist bei Genossenschaften tiefer als im Schweizer Durchschnitt. Wie wirkt sich dies auf die Küche aus?

René Müller: Man ist weggekommen von loftartigen All-Räumen mit Einfrontenküche, die man Anfang der 2000er-Jahre gebaut hat. Dafür steht die Fläche auch nicht mehr zur Verfügung. Die Wohnungen werden heute wieder kleiner. Interessanterweise werden die Küchen trotzdem grösser, weil sie als Wohnküchen mit Essplatz konzipiert werden. Das Wohnzimmer ist nicht mehr als offener Raum auszubilden, sondern als separates Zimmer. So kann es bei kleinem Budget flexibel genutzt werden.

Gibt es Gründe, dennoch auf die offene Küche zu setzen?

M.B.: Bei sehr tiefen Grundrissen kann es eine Option sein, die Küche in die Mitte eines tiefen, zugunsten der Belichtung offenen Raumes zu setzen. So gliedert sie den Raum und unterteilt ihn in zwei miteinander verbundene Bereiche.
R.M.: Das Verständnis für Vielfalt ist gewachsen. In den Wettbewerbsprogrammen wird oft gefordert, dass es bei 300 Wohnungen verschiedenartige Grundrisse und Lösungen geben soll. Unterschiedliche Küchentypen ziehen automatisch unterschiedliche Wohnungstypen und Bewohner nach sich. Viele Genossenschaften streben ja eine heterogene Bewohnerschaft an.

Evelyn Enzmann gründete Enzmann + Fischer ArchitektInnen 1994 zusammen mit Christine Enzmann und Philipp Fischer. Seit 2011 unter dem Namen Enzmann Fischer Partner aktiv, engagiert sich das Büro stark im genossenschaftlichen Wohnungsbau. Seit 2018 ist neben Evelyn Enzmann und Philipp Fischer auch Reto Robbi als Partner involviert. Evelyn Enzmann arbeitet in zahlreichen Jurys und Kommissionen mit.

Bieten bewegliche Bauteile eine Lösung, um Wohnraum flexibel nutzen zu können?

M.B.: Bewegliche Bauteile wie Schiebetüren sind teuer. In Mietwohnungen muss man also gut überlegen, ob wirklich ein Bedürfnis besteht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Vielleicht interessiert sich ein Paar in einer Loftwohnung für flexible Wände. Aber mit Kindern? Nach der Arbeit ist man müde, muss kochen, da hat man keine Lust, vorher den Wohnungsgrundriss zu bewegen. Dann bleibt die Küche in der Realität einfach offen. Wenn es um den Abwasch geht, würde man natürlich gerne zumachen. Aber tut man das? Nein, man setzt sich vor den Fernseher. Und da wird es spannend: Blickt man vom Sofa aus auf die ungemachte Küche?

Liegt die Lösung also im Grundriss, in der geschickten Gliederung der Bereiche Wohnen und Kochen?

M.B.: Meiner Ansicht nach schon. Man versucht, diese Themen baulich zu lösen.
R.M.: Bei manchen Genossenschaften sind zehn Küchenelemente Standard. Sechs Laufmeter Küche dominieren den ganzen Raum. Wie kriegt man da eine Wohnatmosphäre rein? Das funktioniert nur mit viel Fläche oder einer guten Gliederung, einer räumlichen Teilung von Wohnen und Essen. Sonst sitzt man beim Fernsehen fast auf der Küchenzeile.

Immer öfter wird in Wohnküchen durchgängig Parkett gelegt – welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

M.B.: Das hängt in erster Linie von der Wohnungstypologie und damit der Küchentypologie ab. Bei einer offenen Raumfolge von Entrée, Wohnzimmer und Wohnküche versuchen wir durchgängig Parkett zu planen. Bei einer abgeschlossenen Küche ist ein Belagwechsel denkbar oder sogar bereichernd.
E.E.: Dass das Parkett in der Küche leidet, ist oft der Fall. Natürlich kommt es auf Versiegelung und Unterhalt an. Bei der ABZ und der FGZ haben wir durchgängig Parkett geplant, bei Linth-Escher und dem Zollhaus wählten wir Anhydrit. Der ist in Abnutzung und Pflege ähnlich wie Parkett. Dafür ist er günstiger, weil man sich den Abschlussbelag spart. Versiegelungen, Schliffe und Färbungen sind mittlerweile sehr gut erprobt, Anhydrit kann man also durchaus vertreten.

Setzen Genossenschaften hinsichtlich der Geräte eher auf die Standardausstattung?

M.B.: Induktion ist ein Thema, wobei es weniger um das Argument Stromsparen geht. Die Frage ist, ob Ausstattungsqualität oder Erstellungskosten höher gewichtet werden. Oft fliessen auch persönliche Vorlieben der Entscheidungsträger einer Genossenschaft mit ein.
R.M.: Will eine Genossenschaft preisgünstig bauen, gibt es in der Regel weder Steamer noch Induktion. Ein Steamer beispielsweise kostet 4000 Franken; auf 300 Wohnungen sind das 1,2 Millionen!

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Oberflächen?

M.B.: Bei den Abdeckungen empfehlen wir meist Chromstahl oder Stein. Chromstahl ist pflegeleicht und langlebig. Beim Stein handelt es sich fast immer um Granit, der säureempfindlich ist. Kunststein-Komposite wie Sile­stone kommen seltener zum Einsatz.
E.E.: Lange setzten die Genossenschaften trotz höheren Erstellungskosten auf Metallküchen, weil sie langlebig sind. Heute ist das seltener der Fall, man entscheidet sich eher für Küchen von Küchenbauern. Da ist die Auswahl viel grösser.

Martin Bucher studierte Architektur an der ETH Zürich. Nach verschiedenen Anstellungen, unter anderem bei Enzmann + Fischer ArchitektInnen, gründete er die Martin Bucher GmbH und
assistierte am Lehrstuhl von Annette Spiro an der ETH. Seit 2016 ist er Teil der Geschäftsleitung bei Enzmann Fischer Partner.

Wie informieren Sie sich über neue Entwicklungen im genossenschaftlichen Wohnungsbau?

E.E.: Sehr wichtig sind die Begehungen von Neubauten, zu denen Architekten vor Einzug der Mieter laden. Die haben unsere Szene stark geprägt. Man sieht den Umgang anderer Büros mit Bodenbelägen, Materialien, Details. Die involvierten Büros befruchten sich gegenseitig über die Besichtigungen.
R.M.: Ich denke, dass Genossenschaften Innovationsträger sind. Sie orientieren sich an einer fundierten Bedarfsabklärung und sind in der Grundrissgestaltung vielfach freier als private Bauherren. Pensionskassen bauen heute oft das, was die Genossenschaften vor zehn Jahren gebaut haben.

Wie wichtig ist der Nachhaltigkeitsaspekt in Ihrer Arbeit?

M.B.: Echt nachhaltig ist ein guter Wohnungsgrundriss, der Bestand hat und lange funktioniert. Das schliesst eine lange Lebensdauer der Küche mit ein. Labels sind für uns weniger wichtig.
R.M.: Die Nachhaltigkeitsdiskussion muss man mit der Diskussion um Standards verknüpfen. Oft werden Häuser abgebrochen, weil sie den Normen nicht entsprechen. Da könnten Mittelwege eine Option sein: Massnahmen, die die Normen nur teilweise erfüllen, dafür aber wenig kosten. Manche Mieter würden eine Reduktion des Standards hinnehmen, wenn sie dafür günstiger wohnen könnten. Aber da müssen die Genossenschaften und die Gesetzgebung mitmachen!

Wäre die Senkung der Standards denn möglich?

R.M.: In der Küche ist die Frage, wie hoch der heute sein muss. Manche Hygienestandards sind arg einschränkend. Bei uns zuhause gab es in der Küche eine Abdeckung aus Buchenholz, die hält seit 25 Jahren. In dieser Zeit wurde sie einmal abgeschliffen und geölt. So etwas könnte auch im Mietwohnungsbau funktionieren, gerade bei Genossenschaften. Da bleiben die Mieter ja oft jahrzehntelang in derselben Wohnung. Dann wird das Thema Selbstausbau interessant, der im Zollhaus geplant ist.

Also läge darin eine Chance für mehr Nachhaltigkeit?

E.E.: Ja! Stattdessen wird gar nicht darüber diskutiert, weil man auf die geltenden Kriterien fokussiert.
M.B.: Wenn eine Genossenschaft echt günstig und nachhaltig bauen möchte, gibt es nur eine Nasszelle, die Küche ist aufs Nötigste reduziert, es kommen Rohbetondecken und Anhydritböden zum Einsatz. Im Zollhaus wird das derzeit umgesetzt. Die Genossenschaft Kalkbreite leistet echte Innovation, die weit über Labels wie Minergie-P hinausgeht. Auf dieser Ebene interessiert uns Nachhaltigkeit sehr: Wie kann man etwas völlig neu denken? Labels können Innovation ja auch verhindern, weil nur Bewährtes überhaupt gelabelt werden kann.

René Müller studierte Architektur in Karlsruhe und absolvierte bei Enzmann + Fischer ArchitektInnen ein Praktikum. Nach einem Gaststudium an der ETH Zürich schloss er 2011 sein Studium ab. Seither arbeitet René Müller bei Enzmann Fischer Partner in der Entwurfs­arbeit, seit 2016 ist er Teil der Geschäftsleitung.

Farbe wird noch immer sehr zurückhaltend eingesetzt. Woran liegt das?

E.E.: Oft fehlt es am Mut. Der Trend geht in Richtung Farbe, man sieht das bei Besichtigungen. Von uns Architekten wird das auch geschätzt. Da herrscht durchaus ein gewisser Konsens, und ich rechne damit, dass viele Genossenschaften bald umschwenken werden.
M.B.: Mit Weiss, Grau und Parkett kommt man immer durch. Soll es darüber hinausgehen, braucht es jemanden, der sich damit auseinandersetzt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Genossenschaften als Bauherren gemacht?

M.B.: Da gibt es grosse Unterschiede. Grosse Genossenschaften wie die ABZ sind sehr klar strukturiert. Bei den kleineren ist das nicht immer der Fall, da sind Entscheidungen stark personenabhängig.

Was würde den Prozess um die Küchen­planung vereinfachen?

M.B.: Er sollte nicht demokratisch, sondern technokratisch geführt werden. Von Leuten mit Sachverstand, die Pro und Kontra sammeln und die Gewichtung definieren. Wird auf der Basis persönlicher Erfahrungen argumentiert, erschwert das eine sachliche Diskussion. Gute Entscheidungen werden auf Fakten abgestützt, nicht auf Geschmack.

Was raten Sie Genossenschaften, die ein Bauprojekt planen?

M.B.: Vertraut den Architekten! Wir haben viel Erfahrung, ein hohes Qualitätsbewusstsein und übernehmen Verantwortung. Es hilft auch, wenn die Abläufe bekannt sind und eine klare Rollenteilung herrscht.
E.E.: Das ist oft ein grundsätzliches Missverständnis. Dass manche Bauherren Architekten für reine Dienstleister halten. Man muss akzeptieren, dass die Rolle des Bauherren nicht die des Planers ist. Diese Abgrenzung ist manchmal schwierig. Aufgabe eines Bauherren ist es, Rahmenbedingungen zu setzen, die Finanzierung zu klären, Wünsche zu prüfen und dafür zu sorgen, dass sie berücksichtigt werden.