Dietrich Schwarz über Energieeffizienz bei Fenstern und Nachhaltigkeit in der Architektur

«Eigentlich müsste man Häuser nicht mehr heizen»

Der Architekt und Professor Dietrich Schwarz hat viel Erfahrung im Bau von Solar- und Passivhäusern. Dabei hat er sich auch intensiv mit Glas und Fenstern auseinandergesetzt. Weshalb die beiden Themen zusammengehören, was Bauen mit Ernährung zu tun hat und warum Nachhaltigkeit die Architektur noch fordern wird, erklärt er im Interview.

Interview: Liza Papazoglou | Bilder: Wohnen, zVg | Oktober 2019

Wohnen: Sie sind Architekt. Gleichzeitig haben Sie sich intensiv mit Glas auseinandergesetzt, haben dazu sogar geforscht und eigene Produkte entwickelt – eine ungewöhnliche Kombination. Wie kam es dazu?

Dietrich Schwarz: Der Auslöser war 1991 die Forschungsausstellung Heureka in Zürich. Dort gab es ein Glashaus mit einer transparenten Wärmedämmung. Architektonisch kein Juwel, aber es zeigte eindrücklich, dass man ein Haus nicht mehr heizen muss, wenn die Sonne es erwärmt. Das war damals revolutionär und hat mich total fasziniert. Ich begriff dann schnell, dass alles, was mit Sonnenenergie zu tun hat, mit Glas zu tun hat, und umgekehrt. Selbst eine Photovoltaikzelle hat eine Glasoberfläche. Es braucht ja Transparenz, um Sonnenlicht zu nutzen. Seitdem hat mich dieses Thema nie mehr losgelassen. Und spielte bereits bei meinem ersten Bauprojekt eine wichtige Rolle.

Inwiefern?

Ich wollte es Anfang der 1990er-Jahre im Sinne der Solararchitektur umsetzen. Dafür war ich aus meinem Architekturstudium aber nicht gerüstet, ich hatte kaum eine Ahnung von Bauphysik, Konstruktion oder Nachhaltigkeit – die ETH ist zwar toll, wenn es um Entwurf geht, behandelt jedoch technische Themen stiefmütterlich. Die damaligen Lösungen überzeugten mich aber auch nicht. So suchte ich Kontakt zu Forschern und fand schliesslich am Fraunhofer Institut im deutschen Freiburg im Breisgau Leute mit ähnlichen Denkweisen. Und unversehens war ich mit meinem ersten Bauprojekt mitten in einem Forschungsprojekt drin. So entstand mein Solarhaus 1, ein Nullenergiehaus. Wir haben dafür eine neue Lösung entwickelt, wie die transparente Wärmedämmung im Sommer nicht überhitzt. Das war ziemlich knifflig. Erst nach einigen Jahren habe ich aber wirklich begriffen, wie Solararchitektur funktioniert. Womit wir wieder beim Glas wären. Es ist eigentlich banal.

Dann erklären Sie es uns doch bitte kurz.

Letztlich geht es immer um die gleichen vier Elemente. Das erste ist das Sonnenlicht, das in Form von Energie hier auf der Erde ankommt und durch transparente Materialien dringen kann. Das zweite ist die Tatsache, dass dieses Licht im Gebäudeinnern an den verschiedenen Oberflächen absorbiert wird, so entsteht Wärme. Nimmt man aber einfach grosse Glasscheiben, überhitzen Häuser. Um das zu verhindern, braucht es als drittes Element Speichermasse, die die Wärme speichern kann. Aber auch das allein reicht nicht. Als viertes Element braucht es einen Überhitzungsschutz, der im Sommer den Energiefluss von aussen nach innen stoppt. Nun können alle diese vier Elemente unterschiedlich ausgestaltet sein. Der Clou ist deshalb ihr Zusammenspiel, damit das Ganze funktioniert.

Und, wie funktioniert es?

Das kommt darauf an. Die Frage ist, was man erreichen möchte – und auch, wie viel Geld man einsetzen will. Muss zum Beispiel eine Baugenossenschaft kosteneffizient bauen, beschränkt sie sich oft auf gängige Basislösungen. Dann nimmt man ein gutes Isolierglas sowie einen dunklen Steinboden und bringt aussen Jalousien oder Rafflamellen an. Das funktioniert einigermassen. Nur: Als ich mich in den 1990er-Jahren mit dem Thema zu beschäftigen begann, gab es gerade erste Dreifachisoliergläser. Sie erreichten zwar bereits gute U-Werte, waren aber extrem teuer und mit dem Edelgas Krypton befüllt, dessen Herstellung sehr un­ökologisch ist. Und auch andere Lösungen – zum Beispiel Gläser mit einer Art transparenter Bienenwaben, in denen sich die Luft nicht bewegt – waren viel zu kompliziert und kosteten ein Vermögen. Das hat mich alles nicht überzeugt.

Dietrich Schwarz (55) führt seit 1991 ein eigenes Architekturbüro und ist seit 2008 Professor für Nachhaltiges Bauen an der Universität Liechtenstein. Der dipl. Architekt ETH/SIA war an verschiedenen Hochschulen in der Lehre tätig und gründete 2002 die Glastechnologiefirma GlassX AG. Er baute die erste Nullenergieüberbauung in der Schweiz und gewann mit seinem Büro mehrmals den Schweizer Solarpreis, Auszeichnungen des Prix Lignum und zweimal den Watt d’Or des Bundesamts für Energie. Dietrich Schwarz ist Vorstandsmitglied von Minergie Schweiz und vom Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS).

Sie haben deshalb eigene Glassysteme ent­wickelt. Eines davon ist unter dem Namen GlassX auf den Markt gekommen. Was ist besonders daran?

Dass man damit direkt Energie speichern und nutzen kann. Die Empa erforschte damals gerade Phasenwechselmaterialien. Das sind Materialien, die bei Raumtemperatur schmelzen und als Latentspeicher dienen. Gut eignet sich dafür zum Beispiel Salz in einer Wasserlösung. Die Empa hat damit also Glasbausteine gefüllt und getüftelt. In festem Zustand ist die Salzlösung weiss, kristallin und lichtdurchlässig. Scheint die Sonne rein, wird das Licht absorbiert und das Salz schmilzt. Das Interessante ist nun, dass es dabei latent alle Energie aufnimmt, die Aussentemperatur aber konstant bleibt – ähnlich wie bei einem schmelzenden Eiswürfel. Beim Abkühlen kristallisiert das Ganze dann wieder. Das Resultat war schliesslich GlassX. Die Elemente haben die Fähigkeit, zehn Mal mehr Energie zu speichern als Beton. Das ist ein Quantensprung.

Was bringt der Einsatz in einem Gebäude?

Man hat ein leichtes, transluzides Solarspeicherglas, das enorme Mengen Energie aufnehmen kann. Scheint die Sonne im Winter auf so ein Glas, bleibt seine Aussentemperatur konstant bei 25 Grad, was eine sehr angenehme Strahlungstemperatur ergibt. In der Nacht, wenn das Salz allmählich wieder gefriert, wird die gespeicherte Energie als Wärme abgegeben. Im Sommer hingegen sorgen spezielle Prismen für einen wirksamen Überhitzungsschutz, weil sie bei hohem Sonnenstand das Licht total reflektieren. Das System passt sich den Jahreszeiten an. Dimensioniert man es richtig, braucht ein Haus keine Heizung mehr. Das funktioniert sogar bei Bürobauten mit hohem Glasanteil.

Die Idee besticht. Dennoch hat sich das System nicht durchgesetzt. Eigentlich müsste es für Bauträger interessant sein, sich den Bau der ganzen Heizinfrastruktur zu ersparen …

Natürlich! Der Einsatz macht Sinn und ist auch mit engem Kostenrahmen möglich. Wir haben damit zum Beispiel ein Projekt umgesetzt für die deutsche Nuwog, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Neu-Ulm. Bei den Baugenossenschaften, mit denen ich hierzulande zu tun hatte, ist mir aber ehrlich gesagt nicht viel Offenheit begegnet. Da scheinen eingefahrene Vorstellungen vorzuherrschen, insbesondere, wenn man schon hunderte Wohnungen gebaut hat und meint, zu wissen, wie das geht.

Sie beschäftigen sich im Rahmen eines EU-weiten Forschungsprojekts mit einer weiteren Entwicklung, dem Fluidglas. Worum geht es?

Um ein Multifunktionsglas, bei dem Wasser als flüssiger Speicher eingesetzt wird. Die Idee beschäftigt mich schon seit zwanzig Jahren, die Umsetzung ist aber enorm anspruchsvoll. Ein Fluidglas hat zwei wesentliche Vorteile: Zum einen ist es völlig durchsichtig und so sehr vielfältig einsetzbar. Zum anderen kann die Wärmeenergie kontrolliert und auf verschiedene Weise genutzt werden. Sie wird gewonnen, indem man zwischen zwei eng gesetzten Scheiben Wasser mit einer leichten Strömung hindurchpresst. Im Wasser bleibt – im Unterschied zu Glas – die Infrarotstrahlung und damit die Hälfte der Energie, die von aussen hereinkommt, «stecken». Diese Energie kann man nun abführen, speichern und zum Heizen verwenden, aber auch zum Kühlen.

Wie funktioniert das?

Beim Fluidglas gibt es zwei Wasserschichten. Die äussere wirkt als Sonnenschutz, indem sie sich mit dunklen Pigmenten selber verschatten kann. Die innere Schicht kann zum Heizen im Winter und zum Kühlen im Sommer eingesetzt werden. Das Ganze braucht nur etwa 30 Millimeter Platz. Und es lassen sich ganze Fassaden erstellen, in denen das gesamte Energiemanagement für ein Gebäude stattfindet. Wenn dann einmal alles perfekt läuft.

Wo steht das Projekt?

An sich wurde es erfolgreich abgeschlossen. Mein Ziel waren Prototypen, die funktionieren. Das haben wir geschafft. Unser Feldversuchscontainer war einen Winter lang an der Universität Liechtenstein in Vaduz und im Sommer auf der Insel Zypern in Betrieb. Dort war es enorm heiss, etwa 45 Grad. Mit den Fluidglasscheiben konnten wir den Container ohne Verschattung nutzen, er war angenehm kühl. Technisch haben wir alle wichtigen Fragen gelöst – Strömung, Dichtung, Energiemanagement. Nur die Pigmente bereiten noch Probleme. Da haben wir zu wenig Geld beantragt und nicht die richtigen Partner gehabt. Man müsste nun ein Anschlussprojekt machen. Entsprechende Anträge für EU-Projekte sind in Liechtenstein zurzeit nicht möglich.


«Vakuumgläser werden im Wohnungsbau im ganz grossen Stil kommen»


In Ihren zwei neusten Bauten, einem Wohn- und Geschäftshaus in Zürich sowie einem Privathaus in Meilen, kommt keine Eigenentwicklung von Ihnen, sondern Vakuumglas zum Einsatz – für die Schweiz ein Novum. Weshalb setzen Sie es ein?

Weil es gegenüber einem Dreifachisolierglas um Welten besser ist. Es ist sehr viel leichter und schmaler, weniger als 15 Millimeter dünn. Möglich ist das, weil es nur zwei Scheiben braucht, zwischen denen ein Vakuum erzeugt wird; winzige Abstandhalter sorgen dafür, dass sie trotz Unterdruck nicht aneinandergepresst werden. Dass Vakuum zum Isolieren die ultimative Lösung ist, ist natürlich längst bekannt. Nur wollten die grossen europäischen Firmen, die das Know-how hätten, solche Fenster nicht herstellen. Sie haben nämlich eine eigene Glasproduktion und verdienen mit den Mengen. Deshalb setzen sie auf dicke Dreifachgläser und fördern nichts, was mit weniger Glas auskommt.

Dafür rollen nun asiatische Anbieter den Markt auf.

Genau. Momentan führend ist der taiwanesische Weltkonzern Taiwan Sheet. Der ist profes­sionell unterwegs und kriegt die hochanspruchsvolle Produktion dieser Hightechfenster hin. Man muss ein Glaslot haben, das exakt die richtige Flexibilität hat, so dass die Gläser unter Spannung dicht bleiben und nicht brechen, und man muss sie perfekt verschweissen. Die Firma kann das, selbst bei grossen Fenstern, und schafft es auch, ausgezeichnete Low-E-Isola­tionsschichten im Vakuum zu erstellen.

Wie bewähren sich die Fenster im Einsatz?

Bis jetzt sehr gut. Nach ersten Messungen erreichen sie extrem tiefe U-Werte von 0,34 bis 0,37 W/m²K. Beim ersten Projekt an der Hohl­strasse in Zürich hatten wir allerdings unterschiedliche Probleme, zum einen waren auflaminierte Schallschutzgläser nicht streuungsfrei, und zum anderen gab es Probleme mit den Rahmen – weil es in der Schweiz schlicht keine vernünftigen Modelle für solche Vakuumgläser gibt. Deshalb mussten wir sie mit zusätzlichen Gläsern ergänzen, die aber eigentlich unnötig waren. Beim Haus in Meilen war deshalb die Entwicklung neuer Rahmen Teil des Projekts. Die Fensterbaufirma Gerber-Vogt aus Allschwil hat dafür Schiebefenster aus Holz mit Elektromotoren gebaut. Diese will sie nun weiterentwickeln, zum Beispiel für Altersheime oder Schulen. Ziel sind vollautomatisch gesteuerte Vakuumfenster, die Minergie-P-Standard erreichen und als marktfähige Produkte von Bauherren tel quel gekauft werden können.

Glauben Sie, dass solche Fenster erschwinglich werden und sich durchsetzen?

Davon bin ich überzeugt! Grosses Potenzial sehe ich etwa im Renovationsbereich. Denkmalschutzauflagen verhindern bislang zum Teil energetische Sanierungen. Mit dünnen, leichten und hochisolierenden Vakuumfenstern tun sich ganz neue Möglichkeiten auf, auch aus ästhetischer Sicht. Auch im normalen Wohnungsbau werden deshalb solche Fenster im ganz grossen Stil kommen, wenn man sie erst einmal fertig kaufen kann.

Sie haben immer wieder Lösungen für Energiefragen gesucht. Wohin geht Ihre weitere Reise?

Mir ist das Thema nach wie vor sehr wichtig. Mein Fokus hat sich aber noch stärker auf die Nachhaltigkeit als Ganzes verschoben. Mich treiben zum Beispiel die Probleme rund um Raumplanung, Zersiedelung und Landschaft sehr um. Dabei geht es auch um Ernährung. Die traditionelle Landwirtschaft ernährt uns nicht mehr, in der Schweiz deckt sie je nach Bemessungsgrundlage gerade noch einen Drittel bis die Hälfte des Bedarfs. Wir sind zu viele Menschen und verbrauchen zu viele Ressourcen, bei allem. Wenn wir bauen, verdrängen wir die Landschaft. Bis jetzt stellen Architekten die Architektur, den Städtebau als Primat ins Zentrum ihres Denkens und Schaffens, die Landschaft sehen sie als Resultat. Das ist verkehrt, ein kolossaler Irrtum. Die Landschaft ist umfassend, wir sind mit unserem Schaffen nur Gast. Wir brauchen daher völlig neue Lösungen.

Was schlagen Sie vor?

Es gibt verschiedene Wege. Ein radikaler Ansatz wäre, dass man jeden Menschen zum Bauern macht. Das hat es auch schon gegeben – Schrebergarten lässt grüssen. Das würde Siedlungsstrukturen erfordern mit Zwischenräumen für Permakulturen. Diese erlauben einen sieben Mal so hohen Ertrag wie Monokulturen. Das allein reicht aber nicht. Ich habe mir deshalb moderne Treibhäuser in Holland angeschaut. Dort werden mit zehn Mal weniger Wasser, null Pestiziden und hocheffizienten LED-Lampen Nahrungsmittel hergestellt. Ohne Erde, sondern in Spezialsubstraten und in reiner Atmosphäre. Natürlich ist das Hightech, total optimiert auf Effizienz und Ertrag. Die Tomaten schmecken auch alle gleich und sehen gleich aus. Aber wir reden hier von Ernährung, nicht von der besten Tomate. Die muss man weiterhin draussen anbauen.

Sie plädieren im Ernst für Lösungen à la Holland?

Natürlich kann man das Ganze raumplanerisch und architektonisch viel besser machen. Aber man darf nicht dogmatisch sein, sondern muss Lösungen für existenzielle Probleme finden. Die Landwirtschaft in der Landschaft wird sich gezielt auch zu einer industriellen Nahrungsproduktion im Siedlungsraum weiterentwickeln. So könnte man in Städten zum Beispiel Blockrandbauten erstellen mit Satteldächern aus Glas, so dass die Sonne optimal nutzbar ist für Treibhäuser, die die Grundernährung abdecken; oder es werden unternutzte Industriezonen der Nahrungsproduktion zugewiesen. Den Rest könnten die Landwirtschaft und Siedlungsgärten produzieren, wo Bewohner selber Pflanzen biologisch anbauen. Solche Dachtreibhausprojekte gibt es übrigens bereits, mit zufriedenen Bewohnern! Mit genau solchen Fragen müssten sich Architekten befassen. Sie kümmern sich aber nicht darum.

Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang von Baugenossenschaften?

Dass auch sie sich mit solchen Themen stärker befassen. Sie sind genau die Richtigen dafür, und es gibt auch schon ähnliche Ansätze, zum Beispiel im Umfeld von Neustart Schweiz. Man sollte das Ganze aber weiterdenken, die ganzen Kreisläufe einbeziehen und konsequent schliessen. Man kann heute durch Schweizer Forschungserfolge an der Eawag problemlos Abwasser trennen und so aufbereiten, dass man aus Urin Dünger gewinnt und die getrockneten Feststoffe als Brennstoffe oder zur Erdaufwertung verwendet. Das wäre ein super Thema für Genossenschaften. Gerade die älteren haben teilweise viel Geld und stehen in einer gewissen Bringschuld. Sie könnten noch viel mehr machen. Klar, sie sollen günstige Wohnungen zur Verfügung stellen, das ist gut und wichtig. Aber sie sollten auch veraltete Denkmuster überwinden und sich den künftigen Herausforderungen stellen.