Balthasar Glättli und Louis Schelbert zur Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»

«Wir wollen eine Wohnpolitik, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht»

Am 9. Februar 2020 kommt die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» vor das Volk. Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MVS) verlangt damit einen starken Ausbau des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Der Verband Wohnbaugenossen-schaften Schweiz unterstützt die Initiative. Warum engagiert sich der MV Schweiz für den gemeinnützigen Wohnungsbau? Was spricht aus Sicht der Baugenossenschaften für ein Ja? Balthasar Glättli, Präsident MV Deutschschweiz, und Louis Schelbert, Präsident WBG Schweiz, geben Antwort.

Interview: Richard Liechti und Lea Gerber | Bilder: Martin Bichsel, Judith Schönenberger, WBG Schweiz | Dezember 2019

Wohnen: Die Förderung des Wohnungsbaus ist bereits heute in der Bundesverfassung verankert. In Artikel 108 ist sogar ausdrücklich die Tätigkeit von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus festgehalten. Warum braucht es überhaupt eine Initiative?

Louis Schelbert: Schauen wir doch, was heute auf eidgenössischer und kantonaler Ebene an Wohnbauförderung geleistet wird. Der Bund besitzt die Instrumente des Fonds de Roulement, der gemeinnützigen Wohnbauträgern rückzahlbare Kredite gewährt, sowie der Bürgschaft für Darlehen der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger (EGW). Diese beiden Werkzeuge wirken, sind aber insgesamt relativ bescheiden. Von den Kantonen machen zwei Drittel gar nichts – trotz Auftrag in der Bundesverfassung. Auf der anderen Seite weisen besonders die Baugenossenschaften in den Zentren lange Wartezeiten aus, die Nachfrage nach günstigen Wohnungen ist gross. Deshalb stellt sich die Frage: Wenn die nötigen Wohnungen mit den jetzigen Instrumenten nicht erstellt werden können, wie dann? Und hier finde ich, dass der politische Weg der richtige ist. Die Behörden hätten es in der Hand, mehr zu ­machen. Über eine Volksabstimmung können wir sie dazu anhalten, eine Wohnpolitik zu betreiben, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht.
Balthasar Glättli: Gerade in den Städten ist es ­heute wirklich ein Problem, eine Wohnung zu finden. Den Städten fehlt aber ein genügend grosses Arsenal an wohnpolitischen Instrumenten, um gegen den Mangel anzukämpfen. Die Initiative will deshalb nicht nur für Kantone ein Vorkaufsrecht einführen, um damit Land zu erwerben und es gemeinnützigen Wohnbauträgern zur Verfügung zu stellen. Sie gibt dieses Recht auch direkt den Gemeinden. Das ist ein ganz neues Instrument – und es ist umso wichtiger, als wegen der heutigen Zinssituation nicht ­immer das Kapital das grösste Problem ist, s­ondern das Bauland.

Herr Glättli, der Mieterinnen- und Mieter­verband Schweiz (MVS) hat sich mit dieser Initiative ein Stück von seiner Kernaufgabe entfernt, nämlich der Wahrnehmung der Mieterrechte. Warum engagiert sich der MVS für den gemeinnützigen Wohnungs­bau?

B.G.: Das war ein ganz bewusster strategischer Entscheid. Es ist richtig: Unsere Kernaufgabe bleibt, die Mieterinnen und Mieter zu beraten, über ihre Rechte aufzuklären und im Kampf ­gegen Vermieter, die sich nicht korrekt verhalten, zu unterstützen. Wir wollen aber auch grundlegend dafür sorgen, dass sich die Verhältnisse ändern. Unser Mietrecht schreibt die sogenannte Kostenmiete plus vor, eine kostendeckende Miete mit einer kleinen, angemessenen Rendite. Faktisch ist es aber so, dass diese Rendite bei sehr vielen privaten Vermietern überschritten wird. Wenn es uns gelingt, den Anteil der gemeinnützigen Bauträger zu stärken, dann gelingt es auch, Wohnungen aus ­dieser Mietzins-Spekulationsspirale herauszuholen – und das nützt unseren Mitgliedern letztlich mehr als tausend Prozesse, die wir ­gewinnen.

Louis Schelbert (67) hat Deutsch, Philosophie und Geschichte studiert und war unter anderem als freier Journalist und für den Gewerkschaftsbund Luzern tätig. ­Er übte verschiedene politische Funktionen in seinem Heimatkanton Luzern aus und war von 2006 bis 2018 Nationalrat der Grünen. Seit 2008 ist er Präsident des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz.

Herr Schelbert, es ist kein Geheimnis, dass Baugenossenschaften und lokale Mieterverbände das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben. Warum engagiert sich der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz für die MVS-Initiative?

L.S.: Es gibt tatsächlich Interessensgegensätze, weil Baugenossenschaften auch Vermieter sind und es zu Konfliktsituationen zwischen Vermietern und Mietern und damit auch den Mieterverbänden kommen kann. Die Welt ist aber nicht schwarzweiss, und wer in der Politik nur das Trennende sucht, wird kaum Erfolg haben. Bei der Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» liegt die Übereinstimmung der Interessen auf der Hand. Der gemeinnützige Wohnungsbau soll gefördert werden, und die Baugenossenschaften sind dafür die idealen Umsetzungspartner. Da steht unser Verband natürlich dahinter.

Gerade ist wieder ein neuer Rekord bei den Wohnungsleerständen gemeldet worden. Bürgerliche Presse und Politik folgern daraus: Der überhitzte Markt ist auf dem besten Weg, sich selbst zu regulieren. Was entgegnen Sie?

L.S.: Man muss genau hinschauen, wo sich ­die­se Leerstände befinden, nämlich in Landesteilen, wo der Markt an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiproduziert hat. In den Zentren, in Bern, Basel, Genf, Luzern, Zürich, ist der Mangel an preiswerten Wohnungen dagegen gross. Dazu gibt es auch offizielle Zahlen: Das Bundesamt für Wohnungswesen beziffert den Anteil der Menschen, die nicht in angemessenen Wohnungen leben können, auf zwanzig Prozent. Für viele Menschen ist die Situation also prekär.
B.G.: Die Leerstandssituation zeigt klar, dass sich der Markt nicht am Bedarf orientiert und es sich bei den freien Wohnungen um Kapitalanlagen, im schlimmeren Fall sogar um Spekulationsobjekte handelt. Betrachten wir doch das langfristige Bild: Der Mietpreisindex ist in den letzten 15 Jahren um 17 Prozent angestiegen, obwohl die allgemeine Teuerung – bei der die Miete ­mitzählt – nur 5 Prozent betrug. Dabei haben wir parallel dazu eine noch nie dagewesene Tiefzins- und sogar ­Negativzinsphase erlebt, die eigentlich zum Gegenteil hätte führen müssen, nämlich dazu, dass die Mietzinse die Teuerung nach unten ­drücken. Das zeigt: Es ist ­etwas faul im Staate Dänemark.

Balthasar Glättli (47) hat Philosophie und Germanistik studiert und war unter anderem Geschäftsführer einer migrationspolitischen Organisation. 2011 wurde er für die Grünen Kanton Zürich in den Nationalrat gewählt, seit 2013 ist er Fraktionspräsident. Er engagiert sich seit vielen Jahren im Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MVS), seit 2014 als Präsident MV Deutschschweiz.

Als wichtigste Forderung verlangt die Initiative, dass der Anteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus stetig erhöht wird. Gesamtschweizerisch sollen mindestens zehn ­Prozent der neu gebauten Wohnungen im Eigen­tum gemeinnütziger Träger sein – ­gegenüber heute eine Verdoppelung. Herr Schelbert, sind die Baugenossenschaften überhaupt in der Lage, einen solchen Kraftakt zu leisten?

L.S.: Sicher ist, dass eine solche Steigerung mit den heutigen Förderinstrumenten nicht zu stemmen ist. Die bestehende Förderung müsste ausgebaut werden, raumplanerische Massnahmen müssten auf politischem Wege ein­geführt werden. Die Initiative muss den Baugenossenschaften also die notwendigen Werkzeuge verschaffen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass auch neue Trägerschaften gebildet würden, seien dies Genossenschaften, Stiftungen oder andere gemeinnützig orientierte Organisationen.
B.G.: Wir sprechen bei der Initiative absichtlich von gemeinnützigem Wohnungsbau, denn ­dieser umfasst im Prinzip alle Bauträger, die Wohnungen zu Selbstkosten vermieten und keine Rendite abschöpfen. Das sind sicher zum Grossteil Genossenschaften. Daneben kommen aber Kantone, Städte und Gemeinden oder Stiftungen und gemeinnützige Aktiengesellschaften in Frage. In Zeiten von Negativ­zinsen kann eine solche Wertanlage durchaus interessant sein, ohne dass man überhöhte ­Gewinne macht. Die Dynamik bei den Bau­genossenschaften, die sich in den letzten Jahren erneuert haben, ist aber nicht zu unterschätzen.

Die Initiative will die Steigerung des Marktanteils vor allem über ein Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand erreichen. Was bedeutet dies genau?

L.S.: Wird ein Grundstück verkauft, das sich für den gemeinnützigen Wohnungsbau eignet, kann eine Gemeinde oder ein Kanton dieses zum selben Preis kaufen, zu dem es ein Dritter gekauft hätte. Der Verkäufer erleidet keine ­Einbusse. Die Gemeinde kann das Areal anschliessend einem gemeinnützigen Bauträger ver­kaufen oder im Baurecht abgeben.
B.G.: Wie erwähnt: Die Steigerung des Marktanteils ist stark mit der Landfrage verbunden. Deshalb ist der Initiativteil, wo es um das Vorkaufsrecht oder Bestimmungen zum Umgang mit dem Boden bundeseigener Betriebe wie den SBB geht, zentral.

Die Gemeinden müssten dann bei Investoren mithalten, die beispielsweise Wohneigentum erstellen möchten und sehr hohe Preise ­bezahlen können. Auch gemeinnützige ­Wohnungen würden dann teuer.

B.G.: Das ist richtig: Wenn eine Gemeinde in einer solchen Situation investiert, einen hohen Landpreis bezahlt und deshalb auch einen ­höheren Baurechtszins verlangen muss, werden nicht auf magische Weise billige Wohnungen entstehen. Aber diese Wohnungen werden in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren im Vergleich zum gewinnorientierten Investor viel günstiger sein. Diesem Mechanismus muss sich die öffentliche Hand bewusst sein. Ganz abgesehen davon, dass eine solche Investition eine blosse Umlagerung der Aktiven bedeutet und das Budget nicht direkt belastet – und dass die Gemeinde dereinst weniger Geld für Ergänzungsleistungen oder Mietzinsbeihilfen aufwenden muss.
L.S.: Die Ressource Boden ist beschränkt. So lange der Kapitalismus wirkt, wird eine beschränkte Ressource immer einen höheren Preis haben als das, was im Überfluss vorhanden ist. Da der Boden ein nicht vermehrbares Gut ist, macht sich eine Investition aber langfristig bezahlt. Aus genossenschaftlicher Sicht muss man berücksichtigen, dass die Wohnbauförderung für solche Investitionen Grenzen setzt. Fonds de Roulement und EGW sind nicht bereit, beliebig teure Wohnungen zu finanzieren. Der Verband ist zwar mit dem Bundesamt für Wohnungswesen im Gespräch, um die ­aktuellen Limiten namentlich in zentralen Ge­bieten etwas zu verschieben. Hier wird aber auch künftig eine gewisse Bremse bestehen.


«Zwangsmassnahmen sind nicht Teil dieser Initiative.»


Wohnbaugenossenschaften Zürich sucht seit Jahren den Kontakt mit den Landgemeinden. Dort wird genossenschaftlicher Wohnungsbau allerdings oft mit Sozialwohnungen gleich­gesetzt. Kann die Initiative überhaupt etwas bewirken, solange kein Umdenken einsetzt? Zwang wird man kaum anwenden können.

B.G.: Zwangsmassnahmen sind sicher nicht Teil dieser Initiative. Wir erhoffen uns aber, dass sie einen verbindlichen Auftrag an die Gemeinden formuliert, bezahlbare Wohnungen zur Verfügung zu stellen, so wie es die Bundesverfassung bei den Sozialzielen verlangt. Schliesslich ist Wohnen nicht irgendein Gut, auf das man notfalls verzichten kann. Wie aber bringt man die Gemeinden zum Handeln? Das ist letztlich eine Frage der politischen Prioritäten, die sie setzen. Eine Initiative ist ja nichts ande­res als eine Befragung der Stimmberechtigten, ob sie die politischen Prioritäten ändern wollen. Selbst wenn die Initiative scheitert, könnte die Annahme in einer bestimmten Gemeinde etwas bewirken und eine Legitimation für Massnahmen darstellen.

Das Vorkaufsrecht gilt insbesondere auch ­für Grundstücke, die im Besitz bundesnaher Betriebe sind. Hier treffen unterschiedliche Interessen aufeinander. Die SBB etwa stellen sich auf den Standpunkt, sie müssten bei ­ihren Immobiliengeschäften maximale ­Renditen erzielen, um den Schienenverkehr zu subventionieren.

B.G.: Hier muss man zurückschauen: Es handelt sich um Land, das die SBB zu einem gemeinnützigen Zweck erhalten haben, um Schienenanlagen, Betriebsstätten oder Wohnungen für die Bähnler zu errichten, und sicher nicht, um es zu verkaufen und viel Geld herauszuholen. Die Auseinandersetzung um eine neue Nutzung dauert schon lange, und jüngst sind auch Teil­erfolge erzielt worden. Es geht aber nicht nur um die Bahn, sondern etwa auch um riesige Kasernen­areale, die teils mitten in den Städten liegen. Was passiert mit denen? Will man damit den Kauf von Kampfjets mitfinanzieren oder dort doch besser bezahl­bare Wohnungen bauen?

Wie ist diese Zehn-Prozent-Regel zu verstehen? In der Stadt Zürich oder in Genf wäre ein höherer Anteil gemeinnütziger Wohnungen nötig, um überhaupt etwas zu bewirken; in Gebieten mit hohen Leerständen würde mehr gemeinnütziger Wohnungsbau kaum Sinn ergeben.

B.G.: Dieses Ziel gilt gesamtschweizerisch, muss aber sicher regional differenziert umgesetzt werden – der grösste Teil in den Zentren, aber auch in der Agglomeration, denn die Mietzinsexplosion ist auch dort angekommen. ­Förderinstrumente können aber auch in kleineren Gemeinden sinnvoll sein.

Ein weiteres Argument der Gegner: Die Initiative verursache wegen des Kontroll­aufwands hohe Kosten.

L.S.: Grundsätzlich gilt: Wenn man Bedingungen stellt, muss man auch kontrollieren, ob sie eingehalten werden. Das gilt auch für Bau­höhen, hindernisfreies Wohnen oder energetische Vorgaben. Die Zusatzfrage, ob auf einem Areal auch der verlangte Anteil kostengünstiger Wohnungen eingehalten wurde, ist sicher kein Kostenfaktor.

Der Bundesrat hat die Initiative mit der vom Parlament beschlossenen Aufstockung des Fonds de Roulement verknüpft. Diese Aufstockung wird nur umgesetzt, wenn die Initiative abgelehnt wird. Gefährdet man mit einem Ja die bisherige Wohnbau­förderung?

L.S.: Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich finde diese Verknüpfung zwar un­gerechtfertigt und bedaure diesen Entscheid. Klar ist aber, dass man bei einer Annahme der Initiative viel mehr für den gemeinnützigen Wohnungsbau machen müsste. Deshalb ist es für mich unvorstellbar, dass man die bewährten Förderinstrumente zurückbilden würde – im ­Gegenteil, man müsste sie dann gerade ­stärken.

Der Initiativtext enthält eine Forderung, ­die Er­klärungsbedarf hat. Der Bund soll nämlich sicherstellen, dass Programme der öffentlichen Hand zur Förderung von ­Sanierungen nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führen. Dies könnte Bau­genossenschaften betreffen, da umfassende Sanierungen ­auch dort meist bedeuten, dass die Mieten – zumindest ­proportional – stark ­ansteigen.

B.G.: Hier hatten wir Initianten etwas ganz anderes im Fokus. Heute werden energetische Sanierungen über das Gebäudeprogramm und teils auch von Kantonen und Gemeinden gefördert. Das ist gut und richtig. Der Anteil, der von der öffentlichen Hand subventioniert wird, darf aber nicht auf die Miete geschlagen werden, sonst würde der Vermieter doppelt profitieren. Solche Sanierungen gelten grundsätzlich als wertvermehrend und können überwälzt werden. Es darf aber keinesfalls sein, dass ­jemand Subventionen erhält, dann eine sogenannte Leerkündigung durchführt und die Wohnungen zu einem Fantasiemietpreis neu auf den Markt bringt. Baugenossenschaften müssen vor diesem Punkt sicher keine Angst haben, denn mit der Kostenmiete erfüllen sie genau das, was wir wollen.

In diesem Heft stellen wir die Ergebnisse ­einer neuen Umfrage vor. Sie zeigt: Die ­Baugenossenschaften geniessen hohes ­Ansehen und viel Zustimmung. Wird sich dieser Goodwill in der Bevölkerung auf das Ergebnis der Initiative niederschlagen?

B.G.: Die Baugenossenschaften geniessen zu Recht einen sehr guten Ruf. Sie verkörpern ­einerseits das Urschweizerische der Genossame. Dieses alte System der Selbsthilfe, des «zusammen statt gegeneinander», das passt den Schweizerinnen und Schweizern, egal ob es nun um die Verwaltung von Alpweiden oder des knappen Bodens in den Städten und Agglomerationen geht. Doch es ist auch das Verdienst der Baugenossenschaften, die in den letzten Jahren bewiesen haben, dass sie sich neuen Herausforderungen stellen, sich erneuern und auf dem Fundament des Bewährten Lösungen für neue Anspruchsgruppen oder Wohnformen entwickeln. Vor diesem Hintergrund erhoffe ich mir eine hohe Zustimmung zu unserer Initiative.

Eine Prognose für den Abstimmungssonntag 9. Februar?

B.G.: Eine Prognose ist schwierig, weil dies eine Initiative ist, die vermutlich regional sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, je nach Problemlage auf dem Wohnungsmarkt. Dort wo die Probleme am grössten sind, leben allerdings auch am meisten Menschen, was zu unserem Vorteil ist.
L.S.: Für mich war es ernüchternd, dass die Initiative im Parlament unter dem Links-rechts-Schema abgehandelt wurde. Das wird dem ­Anliegen nicht gerecht. In der Debatte im Vorfeld der Abstimmung möchten wir dagegen ankämpfen und der Bevölkerung die Vorteile ­des gemeinnützigen Wohnungsbaus aufzeigen. Wir wollen nicht nur aus Zwängen und Nöten heraus argumentieren, sondern die Diskussion unter dem Titel führen: Das ­genossenschaftliche Modell ist topaktuell! Je besser uns diese Überzeugungsarbeit gelingt, desto besser wird das Abstimmungsergebnis ausfallen.

Objekthilfe stärken

Die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» will gemeinnützige Wohnbauträger stärken. Mittels Objekthilfen wie etwa der Abgabe von Land im Baurecht oder zinsgünstigen Darlehen will die öffentliche Hand das Angebot an preisgünstigen Wohnungen ausweiten. Kritiker ­dieser Praxis führen gerne die Subjekthilfe als geeigneteres wohnpolitisches Instrument ins Feld. Bei der Subjekthilfe wird ein staatlicher Mietzinszuschuss direkt an wirtschaftlich schwache Haushalte ausbezahlt, sodass die Marktmiete für sie tragbar wird. Tönt gut. Doch die Subjekthilfe birgt einige Tücken.
Für die Subjekthilfe sprechen zwar ihre hohe Treffsicherheit und der allgemeine Rechts­anspruch: die finanziellen Zuschüsse können ­gezielt all jenen Haushalten ausbezahlt werden, die anspruchsberechtigt sind. In angespannten Märkten ist das Instrument der ­Subjekthilfe jedoch gefährlich.

Die staatlichen Zuschüsse kurbeln die Mietzinse weiter in die Höhe und führen letztendlich zu einem allgemeinen Preisanstieg. So dient die Subjekthilfe zumindest teilweise der blossen Abfederung überteuerter Mieten und verbessert einzig die Renditen der Wohnungsanbieter.
Zudem gilt es zu bedenken, dass heute bereits über eine Milliarde Franken an Wohnbeihilfen geleistet werden - im Rahmen der Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe. Diese Ausgaben fallen jährlich an und sind «à fonds perdu». ­
Das heisst, dass die öffentliche Hand von vornherein auf deren Rückzahlung verzichtet. Im Gegensatz dazu sind Objekthilfen in Form von Darlehen «rückzahlbar». Auch abgesehen ­davon ist die Objekthilfe nachhaltiger. Die ­geförderten Wohnungen bleiben auf Dauer preiswert. Ab einem gewissen Umfang ent­wickeln diese sogar einen preisdämpfenden Effekt auf das allgemeine Mietzinsniveau.