Immobilientreuhänder und Genossenschaftspräsident Rolf Frei über die Organisations- und Strategieentwicklung kleinerer Genossenschaften

«Ich empfehle ein regelmässiges Time-out»

Kleinen und mittelgrossen Baugenossenschaften fehlt oft der Nachwuchs, um die aufwändige Verwaltungsarbeit weiterzuführen. Gleichzeitig wären langfristige Strategien nötig, um den Wohnungsbestand weiterzuentwickeln und auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Rolf Frei, Immobilientreuhänder und Präsident der Baugenossenschaft zum Stab in Birsfelden (BL), kennt die Problematik – und hat für seine Genossenschaft die Weichen neu gestellt.

Interview: Richard Liechti | Bilder: zVg | März 2019

Wohnen: Viele kleinere Genossenschaften kämpfen mit organisatorischen Problemen. Es fehlt an Nachwuchs, das Tagesgeschäft wächst den Vorständen über den Kopf. Als Treuhänder und Berater haben Sie Einblick in verschiedene Genossenschaften. Wo liegt das Problem?

Rolf Frei: Hier muss man zunächst aufpassen, dass man nicht alle kleinen Genossenschaften in einen Topf wirft. Ich vermeide deshalb auch das Wort «Professionalisierung». Das würde ja bedeuten, dass bisher nicht professionell gearbeitet wurde – und das ist meist nicht der Fall. Lieber rede ich von Organisationsentwicklungen, die bisweilen eben notwendig sind, um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Und hier habe ich tatsächlich den Eindruck, dass viele Genossenschaften solche Prozesse vor sich hin schieben. Sie wissen, dass sie gewisse Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können und in der Genossenschaft nicht mehr genug Nachwuchs finden, scheuen sich aber davor, einen Marschhalt einzulegen und diese Probleme anzugehen.

Wie gefährlich ist eine solche Situation?

Gefährlich wird es dort, wo ein, zwei Vorstandsmitglieder die ganze Last tragen, keine Hilfe von aussen suchen oder die Ablösung vor sich hin schieben. Fallen diese Schlüsselpersonen plötzlich aus, haben wir den schlechtesten Fall, dass keine Übergabe mehr stattfinden kann. Das Bewusstsein um die Know-how-Duplizierung beziehungsweise die Sicherstellung der Organisation ist bei den Genossenschaften teilweise nur rudimentär vorhanden.

Viele kleine Genossenschaften machen nach wie vor alles selbst, von der Buchhaltung bis zur Vermietung. Dabei unterliegen gerade diese Bereiche strikten rechtlichen Regelungen. Kann das Modell des Laienvorstands überhaupt noch funktionieren?

Die starke Regulation in Bereichen wie dem Mietrecht oder dem Rechnungswesen erhöht sicher den Druck auf die Genossenschaften, Veränderungen herbeizuführen und fehlendes Know-how von aussen zu holen. Grundsätzlich ist der Aufwand heute so gross, dass es schwierig geworden ist, eine Genossenschaft so nebenbei am Abend zu führen. Anders als früher ist dies auch kaum mehr während der beruflichen Arbeitszeit möglich.

Rolf Frei (52) ist Fachmann im Finanz- und Rechnungswesen mit eidgenössischem Fachausweis und diplomierter Immobilientreuhänder. 2011 gründete er mit der Falken Immobilien GmbH, Therwil, ein eigenes Treuhandbüro, das im Wesentlichen in der Beratung von Wohnbaugenossenschaften und ähnlichen Institutionen in der Region Nordwestschweiz tätig ist. Seit 2011 ist Rolf Frei zudem Präsident der Baugenossenschaft zum Stab, die in Birsfelden und Muttenz gut 300 Wohnungen besitzt.

Welche Möglichkeiten gibt es, um den Vorstand zu entlasten?

Eine Möglichkeit ist sicher, Fachleute beizuziehen, die auch im Vorstand mitarbeiten. So war das auch in meinem Fall, als ich für das Amt des Präsidenten der Baugenossenschaft zum Stab angefragt wurde. Weiter können Teilbereiche wie etwa die Buchhaltung extern vergeben werden. Auch eine engere Zusammenarbeit unter den Genossenschaften und das Schaffen von Netzwerken, wo man sich regelmässig austauscht, kann viel zur Lösung von Problemen beitragen.

Warum scheuen sich manche Genossenschaften davor, externe Hilfe zu holen?

Tatsächlich spielt hier oft der finanzielle Aspekt mit. Der bisherige Mandatsträger hat eine Aufgabe lange für ein bescheidenes Entgelt erledigt – ein Outsourcing wird sicher teurer werden. Da muss man den Mut haben, dies vor den Mitgliedern zu vertreten. Zuwarten, bis das betreffende Vorstandsmitglied die Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann, ist sicher der schlechtere Weg.

Vom fehlenden Nachwuchs ist seit Jahrzehnten die Rede. Gerade die grossen Genossenschaften stellen aber fest, dass sich neue Mitglieder wieder für die Genossenschaftsidee begeistern und mitmachen wollen.

Ich beobachte, dass die Bereitschaft, kleinere Chargen zu übernehmen, oft da ist. Sobald es sich um eine grössere Funktion handelt, die ein tägliches oder mehrstündiges wöchentliches Engagement erfordert, wird es dagegen schwierig, Leute zu finden.

Welche Anreize könnten Genossenschaften schaffen?

Gerade mittelgrosse Genossenschaften könnten bei der Entschädigung ansetzen. Man muss auch etwas bieten, wenn man etwas erwartet! Man könnte zum Beispiel eine Teilzeitfunktion schaffen, so dass der oder die Betreffende das reguläre Arbeits­pensum reduzieren kann. So könnten interessante Kombinatio­nen entstehen, etwa dass jemand einen 80-Prozent-Bürojob mit einem 20-Prozent-Gartenjob bei der Genossenschaft ergänzt.

Bisweilen trifft man auch auf das andere Extrem – dass die ältere Genera­tion nicht loslassen kann und dem Nachwuchs den Platz versperrt.

Das erlebe ich tatsächlich auch. Ein Wechsel muss aber nicht immer «von oben» kommen. Manchmal müssen auch die Mitglieder zeigen, dass sie parat für den Generationenwechsel wären. Oder der Vorstand muss den Mut haben, mit dem langjährigen Präsidenten offen über die Zukunft zu reden.

Fusionen wären ein probates Mittel, um grös­sere Strukturen zu schaffen, die beispielsweise den Aufbau einer Geschäftsstelle erlauben. In Tat und Wahrheit ist die Zahl der Genossenschaften, die sich zusammenschliessen, verschwindend klein.

Die Gründe sind vielfältig. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man die Vorteile einer Fusion zu wenig sieht und den radikalen Schritt vor den eigenen Leuten kaum vertreten kann. Wichtig wäre jedoch, dass man bei einer Standortbeurteilung alle Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen diskutiert – externe Hilfe, Mandate oder auch die verschiedensten Formen der Zusammenarbeit bis hin zur Fusion.


«Der langfristige Fokus fehlt in vielen Fällen.»


Das Tagesgeschäft ist nur das eine. Der Bestand vieler kleiner Genossenschaften ist in die Jahre gekommen, das Umfeld verändert sich. Langfristige strategische Überlegungen sind nötig. Wie gross ist das Bewusstsein dafür?

Der langfristige Fokus fehlt in vielen Fällen. Man konzentriert sich auf das bestmögliche Verwalten der gegenwärtigen Aufgaben – teilweise gar unter Dauerdruck. Der Vorstand ist ständig nur am Reagieren anstatt am vorausschauenden Agieren. Es fehlt der Mut, wesentliche Veränderungen zu thematisieren. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung der Bauten. Die Häuser sind zwar gut unterhalten, aber die Perspektive reicht meist nicht über die nächsten zehn Jahre hinaus. Die Frage, ob man nochmals für die nächsten zwanzig bis dreissig Jahre sanieren oder vielmehr den Rück- und Neubau planen soll, wird oft ausgeklammert. Kommt hinzu, dass von der Vermietung her kaum Druck besteht, da es sich um günstige und damit gefragte Wohnungen handelt.

Welches Vorgehen empfehlen Sie?

Jeder Vorstand sollte sich alle vier bis sieben Jahre ein Time-out nehmen und das Tagesgeschäft für einmal ganz beiseitelassen. Die typische SWOT-Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken ist eine gute Grundlage, um danach die wichtigen Zukunftsfragen zu diskutieren: Wer ist unser Zielpublikum? Welches Produkt wollen wir anbieten? Wie müssen wir den Wohnungsbestand dafür entwickeln? Sind betreffend Organisationsstruktur Veränderungen vorzunehmen? Wichtig ist, dass man am Ende dieses Prozesses auch wirklich Pflöcke einschlägt und Ziele mit entsprechenden Massnahmen festlegt. Ja, im besten Fall ist am Schluss eine echte Vision für die Zukunft der Genossenschaft entstanden.

Braucht es dafür eine externe Moderation?

Intern ist dies möglich, wenn ein (Vorstands-)Mitglied über entsprechende Fähigkeiten einer Moderationsführung verfügt. Empfehlenswerter ist jedoch, dafür externe Begleitung hinzuzuziehen, womit Doppel- oder Dreifachrollen vermieden werden. Wichtig ist auch: In diesem Prozess soll die Möglichkeit bestehen, dass alle Vorstandsmitglieder offen reden und jedes Thema auf den Tisch kommen darf.

Am Schluss müssen die strategischen Weichenstellungen aber auch vor den Mitgliedern Bestand haben. Wie gross ist dort die Bereitschaft für Veränderung?

Die Akzeptanz der Mitglieder hängt stark damit zusammen, wie der Prozess aussieht, der einem Mitgliedsentscheid vorgelagert ist. Wenn man die Genossenschafterinnen und Genossenschafter nicht vor Tatsachen stellt, sondern frühzeitig informiert und die Grundlagen auf den Tisch legt, ist nach meiner Erfahrung die Akzeptanz gross. Wer fundierte Argumente liefert, erstickt auch langwierige Diskussionen, und die Mitglieder merken, dass der Vorstand nicht für sich selbst handelt, sondern das Beste für die Genossenschaft will.

Wie gross sollen die Kompetenzen des Vorstands sein – oder anders gefragt: Wie viel Mitbestimmung braucht es?

Ich würde hier einen Mittelweg einschlagen. Man hat tatsächlich schon Beispiele gesehen, wo ein grosses Mitwirkungsrecht – etwa bei Detailentscheiden einer Renovation – sich extrem hemmend auswirkte. Das kann sogar dazu führen, dass sich Gruppierungen bilden, die etwas vergleichsweise Unbedeutendes bekämpfen. Dann ist es besser, eine Mieterkommission zu bilden, die über eine beschränkte Auswahl Varianten entscheiden darf. Bei der Baugenossenschaft zum Stab haben wir auch bauliche Varianten in einem frühen Stadium mit den Mitgliedern diskutiert, der Rest war dann aber Sache des Vorstands. Ich meine auch, dass nicht jedes Mitbestimmungsrecht in den Statuten geregelt sein muss und ein Vorstand die Mieter auch von sich aus in einen Prozess involvieren kann.

Die Baugenossenschaft zum Stab (BGS), die Sie präsidieren, hat sich in den letzten sieben Jahren schrittweise gänzlich neu organisiert und eine Zukunftsstrategie entworfen. Die Eckdaten sind in der nebenstehenden «Timeline» ersichtlich. Welches waren die wichtigsten Schritte?

2011 habe ich das Präsidium der BGS übernommen. Nach ersten kleineren Anpassungen in der Organisation haben wir in den Jahren 2013/14 eine neue Strategie nach dem vorhin beschriebenen Vorgehen aufgestellt – also Stärken und Schwächen analysiert und eine Fülle von Fragen rund um das künftige Mietersegment oder den Standard der Wohnungen beantwortet. Die anschliessende Vernehmlassung zeigte, dass die Mitglieder unsere Strategie sehr gut aufnahmen. Daraufhin schufen wir mit dem Leiter Gebäudeunterhalt die erste Vollzeitstelle bei der BGS. Es folgte der Aufbau der Geschäftsstelle mit all den Detailfragen rund um Aufgaben und Kompetenzen. Ab 2017 wurden dafür mit der Geschäftsleiterin – einem langjährigen Vorstandsmitglied – und zwei Sachbearbeiterinnen Arbeitsverträge mit insgesamt 130 Stellenprozenten abgeschlossen. Wir liessen eine eigene Website erstellen. Den Vorstand ergänzten wir mit dem zusätzlichen Know-how eines Architekten und einer Fachfrau für Kommunikation und Projektmanagement.

Eines der strategischen Ziele der BGS sticht heraus. Sie haben die Wohnungen gezielt für Senioren fit gemacht.

Unser Ziel war, wo immer möglich und sinnvoll Anpassungen in Bezug auf die Hindernisfreiheit vorzunehmen. So haben wir etwa bei 2- und 3-Zimmer-Wohnungen Badewannen durch Duschen – wo möglich bodeneben – ersetzt, neue Lifte mit Flügeltüren ausgestattet oder Zugangsrampen erstellt. Mit grossem Erfolg: Diese Wohnungen sind sehr gefragt – und dank der dadurch möglichen internen Wechsel werden wieder grössere Wohnungen frei für junge Familien.

Ein Wermutstropfen bleibt: Seit den 1970er-Jahren hat die BGS keinen Neubau mehr erstellt.

Für uns war es entscheidend, zuerst die Organisation auf ein modernes Level zu bringen und den Bestand zu sanieren – 23 Millionen Franken haben wir in den letzten sieben Jahren in Renovationen investiert. Dieses Jahr haben wir nun erstmals einen Budgetposten für die Prüfung neuer Projekte reserviert – sei es ein Neubau, ein Zukauf oder eine Fusionsanfrage. Wir wollen nichts übereilen, sind aber für alles offen. Nach sieben Jahren Arbeit dürfen wir sagen: Die Ausgangslage unserer Genossenschaft ist hervorragend. Wir sind bereit!