ASIG hat Konkurrenzverfahren erstmals digital durchgeführt

«Mit dem digitalen Studienauftrag setzen wir neue Massstäbe»

Zum ersten Mal hat die ASIG für ein Bauvorhaben einen digitalen Studienauftrag vergeben. Geschäftsführer Dominique Muff sagt, welche Potenziale 3D-Modelle haben und was die Wohnbaugenossenschaft bei solchen Verfahren in Zukunft besser machen möchte.

Interview: Liza Papazoglou | Bilder: Balz Murer, Raumgleiter/Tend AG | 2022/09

Wohnen: Die ASIG will ihre Gründersiedlung an der Wallisellenstrasse in Zürich Schwamendingen neu gestalten. Für die erste Erneuerungsetappe auf dem Areal Dreispitz haben Sie vor zwei Jahren einen Studienauftrag lanciert. Wann kommt dieses Verfahren bei Ihnen zur Anwendung?

Dominique Muff: Bei der ASIG führen wir aufgrund der Grösse der Projekte, die wir stemmen, eigentlich immer Studienaufträge durch. Mit dieser Wettbewerbsform erhalten wir die beste Antwort auf eine städtebauliche und architektonische Fragestellung. Wir führen grundsätzlich keine anonymen Konkurrenzverfahren durch, was uns erlaubt, mit den Planungsteams Zwischenbesprechungen abzuhalten.

Speziell war dieses Mal, dass Sie das Konkurrenzverfahren erstmals von A bis Z digital durchgeführt haben. Was heisst das genau?

Die zehn Planungsteams, die wir zum Studienauftrag über die erste Bauetappe eingeladen hatten, gaben uns keine Papierpläne und Gipsmodelle mehr ab, sondern ein digitales 3D-Modell. Wir hatten ihnen im Vorfeld alle Daten zur Verfügung gestellt, die sie benötigten, um dieses zu erstellen: insbesondere alle planungsrechtlichen Vorgaben und Daten des Terrains respektive der Umgebung. Als Grundlage diente ein 3D-Modell des Areals, das wir zuvor mit einer Drohne digital aufgenommen hatten. Die Planerinnen und Planer setzten ihre Baukörper schliesslich in dieses virtuelle Modell, auf dem auch die Umgebung ausserhalb des Projektperimeters abgebildet ist.

Was versprachen Sie sich von diesem digitalen Verfahren?

Mit dem digitalen Studienauftrag können die Beiträge der Teams noch besser geprüft, verglichen und bewertet werden. Das ist wichtig, um im Wettbewerb qualitativ hochwertige Entscheidungsergebnisse zu erhalten. Wir überbauen in Schwamendingen ein grosses Areal in mehreren Etappen. Unser Ziel war immer, die besten Beiträge miteinander zu verbinden. Weil wir verschiedene Baufelder haben, gibt es besonders viele Kombinationsmöglichkeiten. Bei den Gipsmodellen müsste man theoretisch eine Laubsäge nehmen, die Modelle zersägen und neu zusammenkleben. 3D-Modelle können beliebig auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden.

Sie führten den digitalen Studienauftrag im Jahr des Lockdowns durch. Haben Sie sich aufgrund der Pandemie dafür entschieden?

Nein, das war schon länger so geplant. Die Bestellung bei den Planungsteams erfolgte 2019. Schnell war klar, dass wir von Anfang an und nicht erst für den dritten oder vierten Studienauftrag auf das ­digitale Verfahren setzen wollen, um den maximalen Nutzen von Kombinationsmöglichkeiten zu haben. Dadurch können wir jeweils den aktuellen Projektstand ins 3D-Modell übertragen und dieses den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studienaufträge für die nächsten Bauetappen zur Verfügung stellen.

Dominique Muff ist Geschäftsführer der ASIG Wohngenossenschaft und begleitet die Transformation von deren Gründersiedlung in Zürich seit 2018. Vor seiner Tätigkeit bei der ASIG hat der Immobilienentwickler mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund über zehn Jahre für einen grossen Immobilienentwickler Wohn- und Gewerbeliegenschaften mit unterschiedlichen Nutzungen wie Wohnen, Büro, Gastro, Hotellerie, Quartierversorger usw. definiert und realisiert.

Hat das digitale Verfahren die Kommunikation zu einer Zeit, in der Versammlungen nur beschränkt möglich waren, vereinfacht?

Auf jeden Fall. Es war hilfreich, dass alle Unterlagen digital vorhanden und für alle einsehbar waren. So konnten wir die Präsentationen der Teams und Zwischenbesprechungen über Videoschaltungen im Homeoffice durchführen. Den Zeitplan konnten wir nur dank des digitalen Verfahrens einhalten. Natürlich hat uns der Austausch vor Ort schon gefehlt. Aber wenn bei gewöhnlichen Präsentationen fünfzehn Personen um ein Gipsmodell herumstehen, haben auch nicht alle die gleich gute Sicht darauf. Wird ein 3D-Modell auf einem grossen Bildschirm gezeigt, ist die Perspektive für alle gleich.

Für die Präsentation der Projekte haben Sie sich später wieder vor Ort getroffen. Setzten Sie sich dabei Virtual-Reality-Brillen auf und spazierten als Fussgänger durch animierte Modelle von Siedlungen und Wohnungen, wie man das von Computerspielen kennt?

Nein, die Brille ist mehr eine Spielerei. Wir haben sie in den Jurierungspausen zwar mal angezogen, aber die Projekte nicht auf dieser Basis beurteilt. Dafür sind die 3D-Modelle zu wenig detailliert: Die Detailtiefe ist viel geringer als bei einer Visualisierung. Man muss sich das eher technisch vorstellen. Es geht weniger darum, die exakten Wohnungsgrundrisse abzubilden oder zu beurteilen. Aber man kann im 3D-Modell verschiedene Positionen einnehmen, sich zum Beispiel auf einen Balkon setzen und in einen Hof hinunterschauen.

Kann man auf dem 3D-Modell auch den Schattenwurf erkennen oder den Wind ­simulieren?

Den Wind kann man noch nicht simulieren, den Schattenwurf schon. Beim Hochhaus, das neben die Einhausung der Autobahn zu stehen kommt, war es wichtig zu sehen, ob die umstehenden Gebäude zwei oder drei Stunden Schattenwurf haben. Das ist praktisch, reicht aber baurechtlich nicht aus. Dafür gibt es Spezialisten, die den Schattenwurf exakt berechnen. Auch die Umgebungsgestaltung kann man mit einem 3D-Modell noch nicht adäquat beurteilen. Doch man kann sehen, wie die Häuser in der Topografie stehen. Dank der digitalen Erfassung kann man prüfen, ob städtebauliche Vorgaben eingehalten wurden. Fehler und Abweichungen sind sofort erkennbar, der Datensatz ist transparent, sogar für Laien. So ein Modell verzeiht nichts, man kann nicht schummeln.

Welche Daten können sonst noch miteinander verglichen werden?

Im Prinzip alle. Ich erfahre auf einen Klick, wie gross die Fensterflächen an einem Gebäude sind oder wo sich die Dreieinhalb- oder Viereinhalbzimmerwohnungen befinden. Ich kann verschiedene Ebenen einblenden oder sehen, wie der Wohnungsmix ist, wenn man Projekte kombiniert. Und genau darin liegt die Schwierigkeit: Weil fast alles möglich ist, muss sich die Bauherrschaft vor der Bestellung gut überlegen, welche Kennwerte sie von den Architekturteams wirklich braucht, um eine gute Entscheidung fällen zu können. Die Detaillierung des 3D Modells soll phasengerecht sein. Allerdings neigen Bauherrschaften dazu, eher zu viel zu bestellen als zu wenig, was für die Planungsteams viel Aufwand bedeutet.


«Jede Partei muss zuerst lernen, mit diesem Instrument umzugehen.»


Inwiefern wirkte sich das digitale Vorgehen auf den Arbeitsaufwand aller Beteiligten aus?

Bei den Architekturteams hat sich der Aufwand stark erhöht, aber auch bei den anderen war der Aufwand grösser. Wir hatten mehr Sitzungen, mussten zuerst lernen, mit den Neuerungen umzugehen. Das ist wie beim Velofahren, am Anfang geht es etwas schwieriger. Aber wir erachten die Erfahrungen, die wir machten, als Investition in die Zukunft. Ich bin der Ansicht, dass wir mit unserem Genossenschaftskapital sorgfältig umgehen. Bei der Grössenordnung unserer Projekte darf man auch erwarten, dass wir als professionelle Bauherrin agieren und neue Verfahren anwenden können. Beim ersten Mal mussten wir viel lernen, beim zweiten Mal geht es schon besser.

Heisst das, dass die ASIG Studienaufträge auch in Zukunft digital durchführen wird?

Ja, wir sind zufrieden mit dem Ergebnis und wollen auch den zweiten, dritten und vierten Studienauftrag zur Neugestaltung des Areals digital durchführen. Bei kleineren Projekten sehen wir allerdings davon ab: Wenn die Komplexität gering ist, lohnt sich das digitale Verfahren nicht.

Was machen Sie beim zweiten Studienauftrag besser als beim ersten?

Wir haben unsere Bestellung an die Planungsteams schlanker formuliert. Das ist eine Erkenntnis, die wir von diesem ersten digitalen Studienauftrag mitnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass jede Partei zuerst lernen muss, mit diesem Instrument umzugehen. Wir als Bestellerin, aber auch die Verfahrensbegleiter, die Teams und nicht zuletzt auch die Jury. Alle müssen zu hundert Prozent hinter dem digitalen Verfahren stehen. Beim ersten Studienauftrag waren einige Beteiligte noch etwas skeptisch.

Auch für die Architektinnen und Architekten sind die digitalen Modelle recht neu. Welche Rückmeldungen haben Sie von ihnen bekommen?

Das digitale Verfahren gibt es schon länger, doch wurde es noch nicht so oft angewendet. Mehrheitlich sind die Architektinnen und Architekten den Anforderungen positiv begegnet, nur einzelne haben sich kritisch geäussert. Trotzdem haben wir uns vorgenommen, beim zweiten Auftrag alle Beteiligten noch klarer darauf hinzuweisen, dass die Projektierung mit digitalen Tools umgesetzt wird. Man hat diese Studienaufträge jahrzehntelang gleich gemacht. Jetzt gibt es neue Möglichkeiten, für die man sich öffnen muss. Sonst macht man es besser gar nicht.

Kostet ein digitaler Studienauftrag mehr als ein gewöhnlicher?

Ja, der digitale Studienauftrag ist etwas teurer als ein konventioneller. Wenn man jedoch die Aufwände in Relation zur Gesamtsumme eines Studienauftrages von grösseren und komplexen Aufgaben stellt, ist diese Investition nicht massgeblich kostentreibend. Dementsprechend sind wir davon überzeugt, dass dieses Kapital gut investiert ist in die Zukunft der ASIG.

Wie viele Wohnbaugenossenschaften haben hierzulande schon Erfahrungen mit digitalen Studienaufträgen gemacht?

Ich glaube, dass wir die ersten sind. Und wir freuen uns sehr, dass wir als Wohngenossenschaft diesen Weg beschreiten konnten. Wir setzen in der Genossenschaftswelt damit neue Massstäbe und sind gerne bereit, anderen Genossenschaften Auskunft über das Verfahren zu geben. Persönlich bin ich überzeugt davon, dass sich solche digitalen Studienaufträge in Zukunft stärker durchsetzen und dass auch von der Gaming-Industrie noch mehr Inputs kommen werden.

Hochhaus als neues Wahrzeichen

Der Dreispitz in Zürich Schwamendingen ist die Kernsiedlung der ASIG. Die ersten Reihenhäuschen entstanden hier vor Kriegsende 1945. Seit 2008 beschäftigt sich die Wohngenossenschaft mit der Zukunft des Areals und initiierte in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich eine Entwicklungsplanung. Bis 2035 soll die Siedlung in verschiedenen Etappen komplett umgestaltet und mit dem Bau von insgesamt 900 Wohnungen das bestehende Angebot an bezahlbarem Wohnraum verdoppelt werden. In der ersten Etappe entstehen 250 Wohnungen. Zu den Gewinnerteams des digitalen Studienauftrags für die ersten drei Baufelder gehören das Studio DIA GmbH aus Bern und Zürich (ein Baufeld mit Hochhaus) sowie die Arbeitsgemeinschaft KilgaPopp Architekten aus Winterthur und Baumberger & Stegmeier AG aus Zürich (zwei Baufelder). Die Umgebung werden die Landschaftsarchitekten von Krebs und Herde aus Winterthur gestalten.

Saatlenpark zieht sich durchs Quartier
Entlang der Wallisellenstrasse entstehen zwei Langhäuser sowie ein Hochhaus aus Holz und Beton, das direkt neben die Autobahn-Einhausung zu stehen kommt. Im Hochhaus sind 108 Zweieinhalb- und Dreieinhalbzimmerwohnungen sowie Gästezimmer und ein Co-Working Space geplant. Bei den Langhäusern, in denen 180 Genossenschaftswohnungen Platz finden, sollen bepflanzte Balkone, skalierte Terrassen und Etagengärten den Eindruck einer «vertikalen Gartenstadt» erwecken. Neben der Geschäftsstelle der ASIG befinden sich darin auch Gewerbeflächen, ein Restaurant, ein Kindergarten, eine Kindertagesstätte und ein Gemeinschaftsraum. Vor dem Hochhaus wiederum dient ein Platz als Scharnier zum Überlandpark über der Autobahn und zum neuen Saatlenpark, der sich durchs Quartier ziehen wird. Hier sind vielfältige Flächen für Begegnung, Spiel und Garten geplant. Im Frühling wird die ASIG-Generalversammlung voraussichtlich über den Realisierungskredit abstimmen. Die Umsetzung der ersten Erneuerungsetappe soll 2024 starten.

Film über den Dreispitz