Baumediation hilft bei Konflikten im Immobilienbereich

Schlichten statt richten

Konflikte müssen nicht vor dem Richter landen: Eine gute Alternative bieten Mediationen als aussergerichtliche Einigungsverfahren. Vermehrt kommen sie auch im Bau- und Immobilienbereich zum Einsatz. Eine Mediation dauert kürzer als ein Prozess vor Gericht, hilft teure Auseinandersetzungen zu vermeiden und sorgt für weniger zerschlagenes Geschirr.

Von Ben Kron | Bilder: Ben Kron | Februar 2017

Mit einer «Mediationsakte» beendete Napoleon 1803 den Schweizer Bürgerkrieg. Ganz so heftig sind die Konflikte, bei denen heutzutage Mediationen als «freiwillige Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konflikts» zum Einsatz kommen, in der Regel zum Glück nicht. Seit langem schon werden Mediationen vor allem im Sozialwesen eingesetzt, und auch bei Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Konflikten zwischen Baugenossenschaft und Mietern leisten sie gute Diens­te (siehe Box). Seit 2011 ist Mediation als aussergerichtliches Einigungsverfahren im Zivilgesetzbuch anerkannt und bietet eine gleichwertige Alternative zur staatlichen Schlichtung.
In den letzten Jahren kommt Mediation vermehrt auch bei Bauprozessen zum Einsatz. Gerade diese sind besonders konfliktanfällig, da viele Parteien – vom Ingenieurbüro über die Architektin oder Handwerker bis zu Lieferanten – beteiligt sind, meist Termindruck herrscht und hohe Investitions- und Streitwerte anfallen können. So verursachen etwa Baumängel enorme Kosten; laut einer ETH-Studie mussten 2013 zu ihrer Behebung 1,6 Milliarden Franken oder acht Prozent der Ausgaben im Schweizer Wohnungsbau aufgewendet werden. Konflikte können aber in allen Phasen des Bauprozesses auftreten, von der Planung über Bau und Betrieb bis zum Rückbau. Gründe sind etwa, wenn Termine nicht eingehalten werden, unvorhergesehene Anpassungen nötig sind oder unterschiedliche Auffassungen über Lieferumfang oder Qualität ausgeführter Arbeiten bestehen. Das kann zu Vertrauensverlust, Schadenersatzforderungen, Mietausfällen oder gar zum Baustillstand führen. Eine frühzeitige Baumediation zwischen Bauträgern und Dienstleistern kann dazu beitragen, dass es gar nicht erst so weit kommt.

Konfliktträchtige Umbauten
Gemäss der ETH-Studie entfällt ein Drittel aller Konflikte auf Umbau und Sanierung von bewohnten Gebäuden. Hier können die Belastungen für die Mieter durch Lärm und Dreck hoch sein, und die Wohnbaugenossenschaft muss sich mit Beschwerden beschäftigen. Wo liegt die Zumutbarkeitsgrenze, welche Abhilfemassnahmen sind möglich, ist allenfalls gar eine Reduktion des Mietzinses angezeigt? Solche Fragen lassen sich oft einvernehmlich lösen. Susanna Sacchetti, Architektin, Baumediatorin und Präsidentin der Fachgruppe Baumediation des Schweizer Dachverbandes für Mediation (SDM), schildert einen Fall, bei dem eine Baugenossenschaft ihre rund achtzigjährigen Mietwohnungen sanieren und ausbauen wollte. Bei einzelnen Gebäuden mussten die Terrassen neu isoliert werden, ohne dass ein Gerüst geplant war – alle Handwerker hatten den Zugang via Wohnung eingeplant und offeriert. Kaum wurden diese Pläne den Mietern mitgeteilt, kam es zu Reklamationen. Susanna Sacchetti: «Durch das frühzeitige Beiziehen eines Mediators wurde man sich dann rasch einig, dass ein Zugang von aussen über ein Gerüst die weniger konfliktträchtige Lösung ist.» Deshalb wurde entsprechend umgeplant. Ausserdem konnte der Mediator Lärm- und Staubbelastung erträglicher gestalten, indem gewisse Arbeiten auf andere Tageszeiten als ursprünglich vorgesehen verlegt wurden.
Eine Mediatorin oder ein Mediator gibt aber lediglich Empfehlungen ab. «Entstehen wie im obigen Fall durch vorgeschlagene Massnahmen Mehrkosten, haben Bauleitung und Eigentümer diese zu bewilligen, nicht der Mediator», betont Susanna Sacchetti. Sie empfiehlt, dass bei Umbau- oder Abbruchprojekten der Baumediator an den Bausitzungen teilnimmt: «Hier finden die Beschlüsse statt, und man kann auf Empfehlungen des Mediators eingehen.» Kosten für etwaige Massnahmen wie auch für die Mediation selbst müssen dabei dem Aufwand eines eskalierten Konflikts entgegengehalten werden. Unter dem Strich kann sich eine Baumediation rasch lohnen. «Das Geld darf aber nicht immer im Vordergrund stehen: Es geht auch darum, in Beziehung zu bleiben und weiter zusammenzuarbeiten», sagt die Expertin. Eine allfällige Klage vor Gericht ist in jedem Fall wesentlich teurer, dauert viel länger – und am Ende ist in der Regel viel Geschirr zerschlagen.

Konflikte zwischen verschiedenen Baupartnern können in allen Projektphasen entstehen – von Planung über Bau und Betrieb bis zum Rückbau.

Ablauf nach klaren Spielregeln
Eine Baumediation ist gemäss Susanna Sacchetti fast immer möglich. Die Konfliktparteien müssten aber möglichst frühzeitig eine Mediation anstreben. «Häufig lässt man Konflikte wegen zeitlichem und finanziellem Druck zu lange eskalieren.» Dabei steht es allen Parteien offen, eine Mediation zu verlangen. Notwendig ist das Einverständnis aller, sich gemeinsam mit einer unabhängigen Drittperson an einen Tisch zu setzen. «Die Parteien müssen zudem einwilligen, während des Verfahrens kein Gericht und keinen Friedensrichter anzurufen.» Laufende Gerichtsverfahren werden vor Mediationsbeginn sistiert und keine neuen eingeleitet.
Als Erstes informiert die Mediatorin oder der Mediator die Konfliktparteien über Vorgehensweise und verbindliche Regeln. So hat der Mediator keine Handlungsbefugnis; alles basiert auf Freiwilligkeit. Dann werden die strittigen Punkte aufgenommen – in einem Raum in Gegenwart aller Streitparteien, die sich vielleicht nicht einmal mehr grüssen. Dann kommt die schwierige Phase: Die Streitparteien müssen dem anderen zuhören und dessen Bedürfnisse aufnehmen. Susanna Sacchetti: «Wir nennen das ‹aktiv zuhören›. Aufgabe des neutralen Mediators ist es, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.» Auf dieser Basis werden die einzelnen Streitpunkte abgearbeitet. Das Ziel ist meist eine schriftliche Übereinkunft, unter Umständen reicht sogar ein Handschlag.

Ein bis zwei Prozent der Bausumme
Die Kosten für eine Baumediation können nicht mit einer Formel berechnet werden. Zu vielfältig sind die Arten der Baumediation und der damit verbundene Aufwand. Bei der Be-gleitung eines grösseren Um- oder Neubaus kann man von ein bis zwei Prozent der Bau-summe ausgehen. Bei grösseren Wohnüberbauungen sind dies sechsstellige Summen, aber auch lange und komplexe Verfahren. So kann es bei grösseren Projekten durchaus angezeigt sein, über die ganze Projektphase hinweg eine Fachperson beizuziehen, die zwischen Bauherrschaft, beteiligten Unternehmern und Mietern vermittelt und für die jeweiligen Anliegen sensibilisiert. Bei der Lösung kleinerer Konflikte rechnet Susanna Sacchetti mit einer Dauer von drei bis fünf Sitzungen à eine bis zwei Stunden. Als Stundenansatz empfiehlt die Fachgruppe Baumediation 232 Franken, entsprechend dem Expertenansatz der «Koordinationskonfe­renz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren» des Bundes. Hier fallen also ein paar hundert Franken an. Die Kosten verteilt man normalerweise auf alle Konfliktparteien, aber auch dies ist freiwillig.
Zahlen zur jährlichen Anzahl Baumediationen gibt die Fachgruppe keine bekannt. Dass eine Baumediation komplett scheitert, hat Susanna Sacchetti aber noch nie erlebt. Stattdessen habe sich bisher immer mindestens eine Teillösung gefunden. «Eine Mediation endet kaum je damit, dass ausschliesslich eine Partei recht erhält. Das Ziel muss immer eine einvernehmliche Lösung für alle Beteiligten sein, so dass am Ende niemand mehr mit der Faust im Sack nach Hause gehen muss.»

Mediation bei Nachbarschaftskonflikten

Welche Rolle Mediation bei Konflikten zwischen Nachbarn und zwischen Baugenossenschaften und Mietern spielt, hat Esther Keiser, Geschäftsstellenleiterin der Zuger Gewoba, 2015 in einer Facharbeit untersucht. Dabei hat sie auch eine Onlineumfrage durchgeführt, an der 26 Baugenossenschaften teilgenommen haben. 85 Prozent gaben an, dass es in ihrer Genossenschaft in den letzten fünf Jahren zu Konfliktsituationen zwischen Mietern und der Verwaltung gekommen sei. Anlass dafür waren am häufigsten Fragen zu Mietzinsänderungen, Nebenkosten, Hausordnung, Renovationen und Mitsprache. Bei zwei Dritteln gab es zudem Mieterstreitigkeiten. Dafür oft genannte Gründe sind Lärm, Sauberkeit, Waschküche, Parkplätze und persönliche Konflikte.

Mediation ist bei fast allen angefragten Wohnbaugenossenschaften bekannt, trotzdem griffen je nach Art der Konflikte nur 13 bis 23 Prozent auf das Verfahren zurück; eine Mehrheit holte sich juristischen Beistand oder verzichtete auf externe Beratung. Wo aber eine Mediation angewandt wurde, waren Baugenossenschaften fast ausnahmslos zufrieden und die Konflikte in der Folge gelöst. Fast alle Umfrageteilnehmer können sich vorstellen, künftig mit einem Mediator zusammenzuarbeiten. Auch Esther Keiser kommt in ihrer Arbeit zum Schluss, dass Mediation für Baugenossenschaften, die sich als verantwortungsvolle und sozialkompetente Vermieter verstehen, in vielen Fällen ein äusserst probates Mittel darstellt.

Baumediation

Mediation ist ein freiwilliges Schlichtungsverfahren. Mit Inkrafttreten der neuen Zivilprozessordnung 2011 wurde das aussergerichtliche Mediationsverfahren als gleichwertige Alternative zur staatlichen Schlichtung anerkannt. Ein Mediator ist unabhängig und «allparteilich»: Er versucht, die Bedürfnisse aller Parteien aufzunehmen und zu integrieren. Eine Mediatorin kann Vorschläge machen, nicht aber Entscheidungen treffen wie ein Schiedsrichter. Die Einigung erfolgt zwischen den Konfliktparteien. Bei einer Baumediation kommen Baufachleute sowie Juristen mit entsprechender Weiterbildung zum Einsatz. Es muss im Einzelfall abgeklärt werden, wer für welche Aufgabe in Frage kommt. Der schnellste Weg bei der Mediatorensuche führt über die Fachgruppe Baumediation des Schweizer Dachverbands für Mediation. Eine umfangreichere, aber weniger spezifische Liste stellt die Kammer für Wirtschaftsmediation zur Verfügung.

Weitere Informationen
Fachgruppe Baumediation:
www.baumediation-sdm.ch
Schweizerischer Dachverband Mediation:
www.swiss-mediators.org
Schweizerische Kammer für Wirtschafts­mediation: www.skwm.ch
CRB-Crashkurs «Konflikte beim Planen und Bauen»: www.crb.ch