Genossenschaft Baufreunde beteiligt sich an Saurer-Umnutzung in Arbon (TG)

Gelegenheit genutzt

Auf der Suche nach Wachstumsmöglichkeiten wagte die Zürcher Genossenschaft Baufreunde den Sprung an den Bodensee. In den letzten vier Jahren hat sie im neuen Stadtteil «Saurer WerkZwei» in Arbon (TG) drei Neubauten realisiert. Das Angebot deckt alle Lebensphasen ab – einschliesslich Dienstleistungen im Alter.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: Casa Giesserei, Roger Frei, Thomas Bürgisser | Mai 2021

Schritt für Schritt füllen sich die Baufelder auf dem 200 000 Quadratmeter grossen Grundstück, das direkt beim Bahnhof Arbon und nur einen Katzensprung vom Bodensee entfernt liegt. Wo die Saurer AG einst Nutzfahrzeuge und Textilmaschinen fertigte, entsteht mit «Saurer WerkZwei» ein neuer Stadtteil. 2012 hatte die Generalunternehmerin HRS Real Estate AG die Industriebrache gekauft und zusammen mit der Stadt ein Umnutzungsprojekt mit Industrie-, Gewerbe- und Wohnzone entwickelt. Über tausend Personen sollen hier einmal ihr neues Zuhause haben, fast gleich viele Arbeitsplätze erhofft man sich.
Einiges ist bereits fertig: 2016 machte ein Baumarkt den Anfang. Seither hat ein Kulturzentrum mit Musikschule und Eventhalle eröffnet, zahlreiche Kleingewerbler bieten ihre Produkte an, Eigentumswohnungen sind ebenso entstanden wie Mietwohnungen im Auftrag von Versicherungen und Pensionskassen. Doch auch genossenschaftliches Wohnen gehört zum bunten Portfolio im «Saurer WerkZwei». Die Genossenschaft Baufreunde hat drei Neubauten übernommen. «Viele sind erstaunt über unser Engagement hier», erklärt Ursula Lehmann, Geschäftsführerin der Baufreunde. Tatsächlich konzentrierte sich die Genossenschaft bisher auf die Stadt Zürich, mit rund 600 Wohnungen in den Quartieren Affoltern, Alt­stetten und Schwamendingen. Abgesehen von einigen Ersatzneubauten handelt es sich grösstenteils um ältere Wohnungen – bis jetzt.

Über 100 Millionen Franken investiert
Angefangen hatte alles mit dem Alterswohnprojekt «Casa Giesserei», das seitens HRS bereits mit der Sensato AG angedacht war. Diese betreibt mehrere «Wohnen im Alter»-Angebote in der Schweiz, unter anderem zusammen mit der Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof («DasHaus») in Zürich. «Über den Sunnigen Hof entstand auch der Kontakt zu uns», fasst Ursula Lehmann zusammen. Überlegungen in diese Richtung hätten schon länger bestanden, auch sei man offen für Neues gewesen und strebte Wachstum an – «weil wir mit einer gewissen Grösse einfach mehr erreichen können», so die Begründung. Da erschwingliches Bauland in Zürich Mangelware ist, beschloss man, die Investitionsmöglichkeit in Arbon zu prüfen. «Unser oberstes Ziel ist es, Liegenschaften der Spekulation zu entziehen. Wieso nicht auch im aufstrebenden Markt am Bodensee?»
Im Laufe der Gespräche sind zwei weitere, von HRS in den Grundzügen bereits geplante Projekte hinzugekommen – Wohnraum für urbanes Wohnen und für Familien. «So legten wir im Februar 2016 unseren Genossenschafterinnen und Genossenschaftern ein Paket für alle Lebensphasen im Investitionsumfang von 112 Millionen Franken vor.» Es sei viel diskutiert worden an dieser ausserordentlichen Generalversammlung, erinnert sich die Geschäftsführerin. Nicht alle seien vom Schritt nach Arbon begeistert gewesen. «Andere wiederum sahen sich schon im Alter am Bodensee. Und schliesslich wurde unser Projekt mit 72 Prozent Ja-Stimmen angenommen.»

Der Wohnraum in der Casa Giesserei ist schwellenfrei und rollstuhlgängig eingerichtet.

Casa Giesserei: Wohnen im Alter
Trotz quasi fertiger HRS-Projekte erhielten die Baufreunde in der nun folgenden Detailplanung die Möglichkeit, eigene Wünsche einzubringen. Bei der Casa Giesserei setzte man dabei vor allem auf die Kompetenz von Sensato, die von vornherein als spätere Gesamtmieterin der Liegenschaft feststand. Sie sorgte zum Beispiel dafür, dass die Alterswohnungen, die zwischen Februar 2017 und Juli 2019 entstanden sind, nicht nur allesamt schwellenfrei und rollstuhlgängig gestaltet, sondern auch mit tiefem Backofen und Drehknöpfen in der Küche sowie unterfahrbarem Lavabo und höhenverstellbaren Toiletten ausgerüstet sind. Die Bruttomieten seitens Sensato für die 59 Wohnungen, die inzwischen rund zur Hälfte belegt sind, liegen zwischen 1790 (2 ½ Zimmer) und 4550 Franken (4 ½ Zimmer). Inbegriffen sind verschiedene Betreuungsleistungen wie ein Notfalldienst zu jeder Zeit, Hilfestellung und Beratung bei akuten persönlichen Problemen oder ein Veranstaltungsprogramm.
Um alle Bedürfnisse im Alter abdecken zu können, findet sich auf der ersten Etage ausserdem eine Pflegeabteilung mit 24 Einzelzimmern. Weiter gehören sechs Gästezimmer zum Angebot – für Angehörige wie für Feriengäste – sowie Coiffeur, Fusspflege, Weinhandlung, ein grosser Innenhof und das Restaurant Giesserei mit einer abwechslungsreichen Küche, auch für externe Gäste. Allgemein ist das Konzept auf ein offenes Haus ausgelegt, mit regelmässigen öffentlichen Veranstaltungen oder einer Fitness- und Wellnessanlage inklusive Sauna und Sprudelbad, die auch den Parkside- und Lakeside-Bewohnenden offen steht.

Die in vier Baukörper gegliederte Siedlung Parkside umfasst 75 hochwertige Familienwohnungen.

Parkside: Wohnen für Familien
Weit haben es diese nicht: Das Parkside entstand fast zeitgleich mit der Casa Giesserei, wenige Meter entfernt. Auf den ersten Blick sieht das Wohnprojekt für Familien nach vier einzelnen Baukörpern aus, diese werden jedoch auf der Rückseite durch eine horizontal verlaufende Geschossebene verbunden. Die begrünten Innenhöfe, aber auch der westlich angrenzende Park sorgen für Leichtigkeit, trotz der maximalen Ausnützung des Grundstückes. Während der Aussenbereich ganz der ursprünglichen Planung entspricht, organisierte die Genossenschaft der Baufreunde im Innern einiges um: «Wir richteten den Grundriss noch stärker auf Familien aus, erweiterten den Wohnraum mit Loggien, wählten Feinsteinzeug für den gesamten Bodenbereich und setzten mit V-Zug auf zwar eher hochpreisige, aber aus unserer Erfahrung robuste Küchengeräte», zählt Ursula Lehmann Beispiele auf.
Die 75 hellen Wohnungen mit zweieinhalb bis fünfeinhalb Zimmern für 1120 bis 2350 Franken brutto verfügen ausserdem über einen Waschturm, im Untergeschoss finden sich grosszügige Kellerabteile und über 80 Parkplätze. Trotzdem sei die Vermietung, anders als in Zürich, eine Herausforderung gewesen. «Im positiven Sinne.» So habe man noch während der Bauphase im angrenzenden, ebenfalls neuen Einkaufscenter zumindest in Teilen eine Musterwohnung aufgebaut, eine Broschüre erstellt und an einem Tag der offenen Tür in persönlichen Gesprächen auch die Genossenschaftsidee und die 1000 Franken Anteilschein pro 10 Quadratmeter Wohnfläche erklärt. Mit Erfolg: «Gestartet sind wir im Juli 2019 mit etwas über 50 Prozent Belegung, ein Jahr später hatten wir vollvermietet, unter Einhaltung der Mindestbelegung von jeweils zwei Personen unter Anzahl Zimmer.»

Lakeside: Urbanes Wohnen
Gleiches erhofft man sich bei der Überbauung Lakeside, die in den letzten zwei Jahren nordöstlich vom Parkside und der Casa Giesserei angrenzend an den Bahnhof entstanden ist und das Tor zum Areal bildet. Das markante, teilweise sechsstöckige Gebäude beheimatet im Erdgeschoss 1400 Quadratmeter Gewerbefläche und darüber 40 Wohnungen mit zweieinhalb bis viereinhalb Zimmern. Wie beim Parkside verzichtete man auch hier auf eine automatisierte Lüftung und Photovoltaikanlage, beim Heizen setzt man auf Fernwärme.
Im Innenausbau jedoch hebt sich das Lakeside mit einem etwas höheren Ausbaustandard ab: Dunkler, geölter Eichenparkett im Wohnbereich, helle Keramikplatten in den Nassräumen, eine Forster-Stahlküche, ein stimmiges Farbkonzept und grosszügige Fensterflächen, auch rund um die Loggien, die den Blick auf den parkähnlichen Innenhof, teilweise sogar auf den Bodensee, öffnen. Das alles widerspiegelt sich in Kostenmieten von 1410 bis 3160 Franken brutto plus Genossenschaftsanteilscheine. «Aber auch hier zogen im April und Mai in über der Hälfte der Wohnungen die ersten Mieter ein. Einzig die Vermietung der Gewerbeflächen, unter anderem für ein Restaurant, gestaltet sich pandemiebedingt etwas schwieriger.» Hier wird noch abgewartet mit der Fertigstellung des Innenausbaus, um auf Wünsche eingehen zu können.

Das markante Lakeside-Gebäude ist kürzlich fertig geworden. Es bildet das Tor zum Areal und umfasst neben 40 Wohnungen 1400 Quadratmeter Gewerbe.

In Genossenschaft integrieren
Anders beim angrenzenden Gemeinschaftsraum: Hier soll das Genossenschaftsleben bald losgehen. Gleich wie in Zürich entsteht dafür in Arbon zurzeit eine Siedlungskommission – «auch ein Austausch mit unseren anderen Siedlungskommissionen ist geplant». Denn, so das Ziel: Trotz Entfernung soll eine Zusammengehörigkeit entstehen, etwa über gegenseitige Besuche für Anlässe oder die Generalversammlung. «Das ist eine Herausforderung, aber nicht unmöglich», zeigt sich Ursula Lehmann überzeugt. Sie ermuntert dann auch andere Genossenschaften, über die Grenzen hinaus zu denken.
Und die Baufreunde selbst? Während am «Saurer WerkZwei» voraussichtlich noch bis 2030 weitergebaut wird, hat die Genossenschaft ihr Projekt mit dem Lakeside abgeschlossen. «Nun brauchen wir zuerst eine organisatorische und finanzielle Pause.» Das Fazit von Ursula Lehmann aber ist durchwegs positiv: «Die gute Zusammenarbeit mit der Totalunternehmerin HRS hat vieles erleichtert, das Budget wurde mit Baukosten von knapp über 100 Millionen Franken, die wir auf zwei Banken verteilt finanziert haben, gut eingehalten, und die neuen Genossenschafterinnen und Genossenschafter haben Freude. Eine solche Gelegenheit, auf freiem Feld die Zukunft mitzugestalten, bietet sich nicht jeden Tag.»

Baudaten

Bauträgerin:
Genossenschaft Baufreunde, Zürich
Architektur:
Casa Giesserei: Andreas Pfister
Architekten GmbH, St. Gallen
Parkside: Steib Gmür Geschwentner
Kyburz Partner AG, Zürich
Lakeside: Züst Gübeli Gambetti
Architektur und Städtebau AG, Zürich
Totalunternehmung:
HRS Real Estate AG, Frauenfeld
Umfang:
Casa Giesserei: 1 MFH, 59 Alterswohnungen, 24 Einer-Pflegezimmer, 6 Gästezimmer, Fitness- und Wellnessanlage,
Restaurant, Gewerbe (Coiffeur, Fusspflege, Weinfenster)
Parkside: 1 MFH, 75 Wohnungen

Lakeside: 1 MFH, 40 Wohnungen, 1400 m2 Gewerbe (Bistro, GMR, div. Gewerbe)
Baukosten:
Casa Giesserei: 35,1 Mio. CHF total,
4543 CHF/m2 HNF
Parkside: 28,6 Mio. CHF total,
3860 CHF/m2 HNF
Lakeside: 24,4 Mio. CHF total (prov.),
4897 CHF/m2 HNF
Mietzinsbeispiele:
Casa Giesserei: 3550 CHF inkl. NK, Grundleistungen, Sicherheit, Notfalldienst rund um die Uhr, Veranstaltungen, altersgerechte Infrastruktur
(3 ½-Zimmer-Wohnung, 88 m2 HNF)
Parkside: 1500 CHF plus 150 CHF NK
(3 ½-Zimmer-Wohnung, 91,5 m2)
Lakeside: 2100 CHF plus 170 CHF NK
(3 ½-Zimmer-Wohnung, 107,7 m2)