Mit dem Bau von «Ecoquartiers» setzt Lausanne auf nachhaltiges Wachstum

Genossenschaften sorgen für Qualität

Mit dem Projekt «Métamorphose» kämpft die Stadt Lausanne gegen die negativen Seiten des Wachstums. Wichtiger Bestandteil ist das Ecoquartier Les Plaines-du-Loup, wo dereinst rund 9000 Menschen leben werden. Es setzt nicht nur punkto Nachhaltigkeit neue Massstäbe. Dank der Abgabe von Projektteilen an «Bewohnergenossenschaften» erhofft sich die Stadt eine besonders hohe Lebensqualität.

Von Jean-Louis Emmenegger (aus dem Französischen übersetzt von Richard Liechti) | Bilder: diapo.ch, zVg | November 2017

Der Kanton Waadt ist auf Wachstumskurs: Seit der Jahrtausendwende ist die Einwohnerzahl um rund 100 000 auf über 700 000 gestiegen. 870 000 sollen es gemäss Voraussagen bis im Jahr 2030 werden. Ein Brennpunkt dieser Dynamik ist die Achse Lausanne–Morges, wo sechzig Prozent der Kantonsbevölkerung leben und sich rund die Hälfte der Waadtländer Arbeitsplätze befindet. Mit der Entwicklung dieser Region sind die Behörden allerdings nicht glücklich: Das Wachstum zeitige immer stärkere negative Auswirkungen auf Lebensqualität und Umwelt und wirke sich hemmend auf das weitere Gedeihen aus.

Grösstes Ökoquartier der Schweiz
Mit dem Programm «Métamorphose» will man Gegensteuer geben und gleichzeitig dem enormen Bedarf nach Wohnraum Rechnung tragen. Kernstück sind neben öffentlichen Einrichtungen, insbesondere für den Sport, zwei neue Wohnquartiere. Die beiden «Ecoquartiers» genannten Neubaugebiete Les Plaines-du-Loup und Prés-de-Vidy werden – nomen est omen – nach ökologischen Kriterien erstellt. Gleichzeitig nimmt man Einfluss auf die soziale und altersmässige Zusammensetzung der Bevölkerung, so dass beispielsweise subventionierte ebenso wie freitragende Wohnungen erstellt werden. Eine Agglomeration, wo man gerne lebt und arbeitet – so einfach umschreiben die Verantwortlichen das Ziel, das nur in enger Zusammenarbeit von Gemeinden, Kanton und Bund und mit dem Einbezug der Bevölkerung zu erreichen sei.
Doch wie «öko» sind die «Ecoquartiers»? Tatsächlich sind in der Schweiz noch nie derart strenge Anforderungen in diesem Massstab umgesetzt worden. Der Energieverbrauch soll sich im Vergleich mit dem heutigen Schweizer Durchschnitt um den Faktor drei verringern und den Anforderungen an eine 2000-Watt-
Gesellschaft entsprechen. Dabei zählen neben Strom und Heizung auch die Mobilität oder die graue Energie, die beim Bau und Betrieb der Gebäude anfällt – ja, sogar der Kalorienverbrauch der Bewohnerschaft ist ein Thema. Die Bauweise mit dichten, grossen Formen, die zudem die passive Sonneneinstrahlung nutzen, soll den Wärmebedarf minimieren. Geothermie und Photovoltaikanlagen werden für einen «grünen» Restenergiemix sorgen. Schliesslich sollen auch die verschiedenen neuen Aussenräume einen grossen ökologischen Wert besitzen.

Quartierentwicklung im Vordergrund
Die Vorarbeiten für das grössere Ecoquartier, Les Plaines-du-Loup, sind fortgeschritten. Es liegt in den Hügeln im Norden der Stadt, unweit des Flugplatzes Blécherette. Die Dimensionen sind beachtlich: Auf rund dreissig Hektaren Arealfläche wird mehr als eine halbe Million Quadratmeter Wohn- und Geschäftsfläche erstellt. Rund 9000 Bewohnerinnen und Bewohner werden bis im Jahr 2030 in 3400 neue Wohnungen einziehen; hinzu kommen 3500 Arbeitsplätze. Die Grundlage für die Bebauung bildet der Masterplan des Lausanner Architekturbüros Tribu architecture. Eine erste Etappe mit rund tausend Wohnungen startet bereits 2018. Ab 2020 sollen die ersten Bewohner einziehen. Danach werden im Jahresrhythmus 350 bezahlbare Wohnungen auf den Markt kommen.
Vielfalt wird eines der Merkmale des neuen Stadtteils sein: Man wird dort kleine Geschäfte ebenso wie Büros finden, Restaurants ebenso wie medizinische Einrichtungen, Krippen und Schulen, Freizeit- und Sporteinrichtungen, darunter eine Eisbahn oder eine Inline-Skating-Halle – und natürlich viel öffentlichen Grünraum mit einem 17 000 Quadratmeter grossen Park, wo sich auch das gemeinschaftliche «Quartierhaus» finden wird. Der Autoverkehr soll dank einer zentralen Tiefgarage mit 730 Plätzen aus dem Quartier verbannt werden. Eine neue Metrolinie bietet effizienten Anschluss ans öffentliche Verkehrsnetz. «Das neue Quartier wird lebendig sein, weil vielfältig, vernetzt, ökologisch – und in partizipativer Weise entwickelt», fasst Elinora Krebs, die Chefin des städtischen Wohnungswesens, zusammen.

Die erste Etappe wird tausend Wohnungen umfassen; rund drei Viertel erstellen gemeinnützige Bauträger. Am oberen rechten Bildrand ist der Flugplatz Blécherette ersichtlich; unten links wird 2020 Etappe 2 anschliessen.

Ein Viertel für die «Alternativen»
Die Stadt wird einen Drittel der Wohnungen subventionieren und bei einem weiteren Drittel eine Mietobergrenze vorschreiben. Das letzte Drittel ist für freitragende Mietwohnungen und Wohneigentum reserviert. Damit will man die gewünschte Bewohnervielfalt garantieren und sicherstellen, dass genügend zahlbare Wohnungen entstehen. Dabei setzt die Stadt auf die gemeinnützigen Wohnbauträger. Sie werden rund siebzig Prozent der Wohnungen der ersten Etappe erstellen. Zum Zug kommen neben den grossen traditionellen Baugenossenschaften insbesondere sogenannte Bewohnergenossenschaften, die teils erst für das Projekt gegründet worden sind (siehe Kasten). «Unser Ziel war, ein Viertel des Bauvolumens an innovative Genossenschaften zu vergeben, bei denen die sozialen Aspekte rund um das Wohnen ebenso wichtig sind wie das Bauen selbst», erklärt Elinora Krebs.
In der Pflicht stehen aber alle gemeinnützigen Bauträger. «Wir zählen auf die Bau- und Bewohnergenossenschaften, um das soziale Netz zu stärken und die solidarischen Werte über die eigenen Liegenschaften hinauszutragen», sagt die Lausanner Wohnchefin. Die gemeinnützigen Bauträger verpflichteten sich denn auch, gemeinschaftliche Aspekte und die Idee des Austauschs und des Teilens in den Vordergrund zu stellen. Die Stadt selbst fördert den Integrationsprozess, indem sie eine Informationsoffensive startet und alle, die sich für die Entwicklung des neuen Quartiers interessieren, mit einbezieht: Kinder und Senioren, Quartierbewohnerinnen und Mietinteressenten, Investorinnen und Planer, kulturelle oder sportliche Organisationen – und last not least die Genossenschaften, in die man derart grosse Erwartungen setzt.

«Junge Wilde» voller Ideen

Die erste Etappe des Ecoquartier Les Plaines-du-Loup mit rund tausend Wohnungen ist in fünf Sektoren mit verschiedenen Baufeldern aufgeteilt. Die Stadt hat sie an vier Kategorien von Investoren vergeben: gemeinnützige Baugenossenschaften und Stiftungen (26 %), Bewohnergenossenschaften (24 %), städtische Stiftungen und Gesellschaften (23 %) sowie private und institutionelle Investoren (27 %). Unter den grossen gemeinnützigen Bauträgern kamen zum Zug: Société Coopérative d’Habitation Lausanne, SCHL, gemeinsam mit ihrer Stiftung Fondation Pro Habitat Lausanne, FPHL (80 Wohnungen), Fondation Lausannois pour la Construction de Logements, FLCL (80 Wohnungen), Coopérative Cité-Derrière (80 Wohnungen) und Coopérative Logement Idéal (65 Wohnungen). In der Kategorie der Bewohnergenossenschaften finden sich neue Player mit innovativen Projektideen:
­– Le Bled (79 Wohnungen, davon 16 Stockwerkeigentum, 1750 m2 Gemeinschaftsfläche). Die für das Projekt Les Plaines-du-Loup gegründete Genossenschaft vereint Mieter und Eigentümer, die das Gemeinschaftsleben selbst organisieren werden. Zu den Pprinzipien zählen Nachhaltigkeit, soziale Durchmischung, Solidarität, Nachbarschaftlichkeit. Innovative Wohntypen (Cluster, Satellitenwohnungen) gehören ebenso zum Programm wie ein Bed and Breakfast. www.lebled.ch
Codha (83 Wohnungen, 850 m2 Gemeinschaftsfläche). Die 1994 gegründete Codha ist eine Dachgenossenschaft nach dem Wogeno-Modell, deren Häuser durch die Bewohner verwaltet werden. Für den Codha-Anteil am Neubauprojekt haben sich schon drei Vereinigungen künftiger Bewohner gebildet, die dort im Selbstverwaltungsmodell leben wollen. Das Projekt sieht neben gemeinschaftlichen Flächen auch Musikerateliers, preisgünstige Bistros und Quartierläden vor. www.codha.ch
Ecopolis (26 Wohnungen, 300 m2 Gemeinschaftsfläche). Die neu gegründete Genossenschaft verfolgt einen starken ökologischen Ansatz. Offenheit gegenüber allen Interessenten, aber auch dem künftigen Quartier sind weitere wichtige Grundsätze. www.ecopolis.ch
C-Arts-Ouches (41 Wohnungen, 500 m2 Gemeinschaftsfläche). Die Mitglieder der 2011 gegründeten Genossenschaft teilen ebenfalls das Prinzip der Nachhaltigkeit und des gerechten Handels sowie einer gelebten Nachbarschaft. Mit den gemeinsamen Einrichtungen möchte sie insbesondere künstlerische/musikalische Aktivitäten fördern, und zwar auf Quartier­ebene. Das gemeinsame Gärtnern als Symbol für die ökologischen Werte ist ein weiteres Element.
La Meute (25 Wohnungen, 500 m2 Gemeinschaftsfläche). «Das Rudel» ist 2011 aus Selbstverwaltungskreisen entstanden. In seinem Kreis sollen Familien, Ledige, Studenten ebenso Aufnahme finden wie Flüchtlinge. Kulturelle Aktivitäten, aber auch ein selbstbetriebenes Café und eine Velowerkstätte stehen auf dem Gemeinschaftsprogramm.