Sind die Genossenschaften dabei?

Vor dem grossen Entwicklungsschub

Die Umnutzung grosser Bahn- und Industrieareale eröffnet in Basel die Chance, ganze Quartiere neu zu bauen. Der gemeinnützige Wohnungsbau wird eine wichtige Rolle spielen – wie wichtig, ist aber noch offen.

Von Richard Liechti | Bilder: Herzog & de Meuron, Michael Fritschi, zVg | August 2018

Ein Filetstück hat sich der gemeinnützige Wohnungsbau in Basel schon gesichert: Auf dem Areal des ehemaligen Felix-Platter-Spitals wird die Baugenossenschaft wohnen&mehr einen kleinen Stadtteil, das Westfeld, errichten. Und in der Erlenmatt Ost, wo sich einst die Gleisfelder der Deutschen Bahn erstreckten, setzen gleich mehrere neue Genossenschaften ihre Wohnträume in die Tat um. Doch damit ist längst nicht Schluss. Basel wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einen Transformationsprozess erleben, wie er zumindest für Schweizer Verhältnisse beispiellos ist. Im Fokus stehen dabei einerseits obsolete Produktionsflächen der Chemie, anderseits die grossen Bahnareale.

Spektakulärer Dreispitz
Gleich mehrere Entwicklungsgebiete finden sich am Gleisfeld vor dem Basler Hauptbahnhof, allen voran das fünfzig Hektaren grosse Dreispitzareal. Die Grundeigentümerin, die Christoph Merian Stiftung (CMS), will das Gewerbegebiet in einen lebendigen und urbanen Agglomerationsteil verwandeln. Planungspartner sind die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie die Gemeinde Münchenstein, erstreckt sich der Planungsperimeter doch über die Gemeinde- und Kantonsgrenzen. Die Planung ist komplex. Deshalb beschloss man, die Transformation in Etappen anzugehen.
Wie die Nordspitze des Dreispitzareals zwischen Dornacher-, Reinacher- und Münchensteinerstrasse aussehen könnte, ist seit kurzem bekannt. Dabei wird nicht gekleckert: Das Projekt der Architekturstars Herzog & de Meuron sieht drei 160 Meter hohe Hochhausrotunden vor, die Raum für vier neue Stadtplätze freilassen. Neben Gewerbenutzungen soll hier «ein hohes Mass an attraktivem Wohnraum» entstehen. Gemäss Jurybericht sind einige «Stadthäuser» für den genossenschaftlichen Wohnungsbau vorgesehen. Das Gesamtprojekt sei spektakulär, sagt Stadtentwickler Andreas Courvoisier. «Um hier dabei zu sein, müssten die Genossenschaften und andere gemeinnützige Bauträger gegenüber der CMS als dynamische Partner auftreten, die in der Lage sind, innovativen Wohnraum zu entwickeln.» Dafür bleibt noch Zeit: Bis zur konkreten Projektplanung werden noch einige Jahre verstreichen.

Das Dreispitzareal grenzt links an das Gleisfeld vor dem Basler Hauptbahnhof. Südlich an das Projekt Nordspitze schliesst der Walkeweg an, wo gemäss Arealstrategie des Kantons die Genossenschaften zum Zug kommen. Rechts vom Geleisefeld liegt mit dem Wolf-Areal ein weiteres grosses Entwicklungsgebiet.

«Low Cost» am Walkeweg
Am Walkeweg, der südlich an das Nordspitze-Areal anschliesst, steht die Testplanung vor dem Abschluss. Dort will der Kanton Basel-Stadt eine «Low-Cost-Low-Energy-Siedlung» mit rund 50 000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche verwirklichen; auf Baurechtsland sollen 400 bezahlbare Wohnungen entstehen. Stimmt der Regierungsrat der Arealstrategie zu, so soll auch der gemeinnützige Wohnungsbau zum Zug kommen. «Wir sehen ein stimmiges Gesamtkonzept, das vielseitiges, möglichst bodennahes Wohnen zulässt», erklärt Jörg Vitelli vom Verband Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz. Das weitere Vorgehen wird nach Vorliegen der Arealgrundlagen bestimmt.
Ein drittes Entwicklungsgebiet vor dem Hauptbahnhof liegt auf der anderen Seite des Gleisfeldes. Wegen der Verlagerung des internationalen Güterumschlags wollen die SBB eine 16 Hektaren grosse Fläche im nördlichen Teil des Güterbahnhofs Wolf neu nutzen. Mit einem Studienauftrag haben sie die Möglichkeiten ausgelotet, zudem lud man verschiedene Interessensgruppen zur Mitwirkung ein. Der neue Stadtteil biete sich an für eine vielfältige Nutzung mit Wohnen, Logistik, Gewerbe und Büros, so ein erstes Fazit. Wie weit sich das exponierte Gebiet zwischen Autobahn und Bahnareal tatsächlich zum Wohnen eignet, ist allerdings unklar. Die SBB wollen bis Ende Jahr über die Ergebnisse von Studienauftrag und Beteiligungsprozess orientieren.

Verwaltungsgebäude, Produktionshallen und grosse Logistikflächen prägen das Klybeckquartier. Sie sollen schrittweise neu genutzt werden.

Klybeck: ein neues Quartier
Der zweite grosse Entwicklungsschwerpunkt liegt im Norden der Stadt Basel. Im Quartier Klybeck wird Städtebau im grossen Massstab betrieben: Hier hat sich vor mehr als hundert Jahren die chemische Industrie niedergelassen. Nun werden 300 000 Quadratmeter Fabrikareal, heute hinter Mauern und Zäunen verborgen, zur Neunutzung frei. Für die industrielle Produktion werden sie kaum mehr benötigt, auch in Labor- und Bürogebäuden bestehen Leerstände. Die Eigentümerinnen BASF und Novartis haben sich deshalb mit dem Kanton Basel-Stadt zusammengeschlossen, um dieses Gebiet als Gesamtprojekt neu zu definieren. «klybeckplus» ist der Projektname.
Dabei soll das Industriegebiet nicht von Grund auf neu gestaltet, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg Schritt für Schritt verändert werden. Entstehen wird ein Stadtquartier mit unterschiedlichen Nutzungen für Wohnen, Arbeit, Freizeit und Kultur. Bei der Planung hat man die Bevölkerung frühzeitig eingebunden. Die Dimensionen sind beachtlich: Zu den heutigen rund 8000 Einwohnern werden 10 000 neue hinzukommen, das Quartier erstreckt sich vom Rhein bis zum Fluss Wiese und schafft neue Verbindungen zur Umgebung.
«Das Projekt ist hochspannend», erklärt Andreas Courvoisier, umso mehr als man keine Tabula-rasa-Planung will und attraktive Industriebauten erhalten bleiben. Wie weit die Genossenschaften zum Zug kommen, ist noch offen. Die Syntheseplanung des Kantons sieht lediglich einen Anteil von 15 Prozent vor. Der Regionalverband Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz fordert jedoch, dass mindestens fünfzig Prozent der zukünftigen Wohnungen und Gewerbeflächen gemeinnützig sein sollen. Nur so sei eine gute soziale Durchmischung machbar, hält Jörg Vitelli fest. Und: «Wir und unsere Mitglieder stehen bereit, diese Flächen zu entwickeln.»

Volta Nord: Quote für Gemeinnützige
Auf der anderen Seite des Rheins, im nördlichen Teil des Quartiers St. Johann, steht das Gewerbe- und Industrieareal Volta Nord (auch Lysbüchelareal genannt) vor der Umnutzung. Hier sollen Wohnraum für 1300 bis 1900 Einwohner und Flächen für 2000 bis 3000 Arbeitsplätze entstehen. Dabei haben die Genossenschaften im Mai einen Meilenstein erreicht. Erstmals hat der Grosse Rat eine Quote für den gemeinnützigen Wohnungsbau festgelegt, wenn auch nur dreissig statt der von Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz geforderten fünfzig Prozent. Diese Quote gilt auch für den Anteil der Grundeigentümerin SBB. Wegen eines Referendums des Gewerbeverbands – er will das Areal für laute Nutzungen erhalten – wird die Realisierung noch etwas auf sich warten lassen.
Auch auf dem nahen Areal Lysbüchel Süd werden die Genossenschaften einen Anteil erhalten. Dort hat die Stiftung Habitat einen Teil des Coop-Areals Lysbüchel mit rund 12 400 Quadratmetern Fläche erworben. Ähnlich wie in der Erlenmatt Ost gibt sie grosse Teile des eingezonten Areals an Genossenschaften, Baugemeinschaften und andere gemeinnützige Träger im Baurecht ab, um so für eine gute Durchmischung zu sorgen. Dafür hat sie diesen Frühling eine Ausschreibung durchgeführt. Mit über dreissig Bewerbungen ist diese auf eine sehr positive Resonanz gestossen.

Projekt klybeckplus: die verschiedenen Entwicklungsgebiete. 

Umstrittene Vision fürs Hafenareal
Für visionäre architektonische Entwürfe hat vor einigen Jahren eine Umnutzung des Hafens gesorgt. Weil der heutige Rheinhafen logistisch an seine Kapazitätsgrenze gelangt ist, wird ein drittes Hafenbecken mit einem Containermodell Schiff-Schiene-Strasse geplant. Damit würde das heutige Hafengelände zur Neunutzung frei. «Das Wohnen am Wasser mit dem Frankreichflair wäre hochattraktiv», sagt Andreas Courvoisier. In die Planung sind allerdings viele Stellen involviert, so auch das Bundesamt für Verkehr mit den SBB oder die Nachbargemeinden Weil am Rhein und Huningue. Die Visualisierungen mit einer Rhein­insel, dicht bepackt mit Hochhäusern, haben zudem für einiges Kopfschütteln in der Öffentlichkeit gesorgt. Rasch war der Name «Rheinhattan» geboren. Bis die ersten Bewohnerinnen und Bewohner das Wohngefühl an den Gestaden von Vater Rhein geniessen, werden noch viele Kutter vorbeischippern.

www.planungsamt.bs.ch (Arealentwicklung)
www.dreispitz.ch
www.klybeckplus.ch
www.hafen-stadt.ch