In Vorarlberg (A) testen gemeinnützige Bauträger Vorfertigung und Serialisierung in der Praxis

Wohnen für 500 Euro

Wer industriell vorfertigt und schnell baut, baut günstig. Doch meistens obsiegt dann im Wettbewerb der handwerklich erstellte Prototyp – ausser die Rahmenbedingungen sind anders. Im österreichischen Vorarlberg entstand so ein Baukonzept, das bei den Kosten neue Massstäbe setzt.

Von Franz Horvàth | Bilder: Franz Horvàth | Dezember 2017

Die anderen Rahmenbedingungen lieferten im Vorarlbergischen die Flüchtlinge. Die österreichischen Länder waren 2016 gehalten, Ideen nicht nur für Notunterkünfte zu ent­wickeln, weil klar war, dass viele Asylfamilien bleibeberechtigt sind. Dauerhafte und zahlbare Wohnungen mussten her, möglichst gut integriert in bestehende Siedlungsstrukturen, um der Ghettobildung vorzubeugen. Das Land Vorarlberg wählte dazu einen interessanten Ansatz, der Rücksicht nimmt auf die ländliche, kleinstädtische Siedlungsstruktur.

Sonderwohnbauprogramm
Das Neubauprogramm für geförderte Wohnungen, das bisher jährlich 500 gemeinnützige Wohnungen vorsah, stockte das Land um 150 Wohnungen auf. Diese Wohnungen sollten kostengünstig und schnell realisierbar sein, ­damit Familien nur möglichst kurz in Notunterkünften verweilen müssen. Dafür suchten die gemeinnützigen Bauträger in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden nach Baulandreserven. Hoffnungen setzte man auch auf die Diözese Feldkirch und auf Pfarreien als Baurechtsgeber. Sie wurden nur punktuell erfüllt, dank einem extra ausgearbeiteten standardisierten Baurechtsvertrag im Einzelfall aber sehr rasch umgesetzt.
Es brauchte jedoch viel Überzeugungs­arbeit, weil in manchen Gemeinden die Nachbarn bereits ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen als überdimensioniert und als potentielle Ruhestörung sehen. So verlangten beim ersten der realisierten Projekte in der Gemeinde Mäder die Anrainer einen Lärm- und Sichtschutz, der zwar schön in Holz gestaltet wurde, sich aus der Nähe aber wie eine Berliner Mauer ausnimmt, die – wenn schon – eher zur danebenliegenden Hauptstrasse hingepasst hätte, wo der grössere Radau herkommt. Die Gemeinden sind bei den Projekten auch deshalb wichtige Partner, weil sie die Wohnungen vergeben. Die im Sonderprogramm erstellten Wohnungen erhalten in der Regel zu zwei Dritteln Einheimische, die zum Beispiel wegen ­ihres tiefen Einkommens Anspruch auf eine geförderte Wohnung haben, und zu einem Drittel Flüchtlinge.

Kosten massiv senken
Zusätzliche Erschwernisse bei der Erstellung günstiger Wohnungen bieten in ländlichen ­Regionen oft Autostellplatzverordnungen, die zuerst auf realistische Verhältnisse herunter­gehandelt werden müssen, damit sie weniger kostentreibend wirken. Oder periphere Gemein­den in Tourismusregionen wünschen sich geförderte Wohnungen, obwohl es auch sonst schon Leerstände gibt. Die gemeinnützigen Bauträger sind darum gut beraten, genau abzuwägen, wo und wie sie investieren.
Den entscheidenden Faktor in diesem Sonder­wohnbauprogramm bildete die Heran­gehensweise bei der Planung. Die oben erwähnten neuen Rahmenbedingungen sorgten dafür, dass rasches Handeln gefragt war, aber die gemeinnützigen Bauträger standen zusätzlich unter Druck, die heute sehr hohen Bau­kosten massiv zu senken. Dabei bestand gleichzeitig der Anspruch, nicht nur kurzlebige Containersiedlungen aufzustellen, sondern Gebäude zu errichten, die eine gestalterische Qualität aufweisen und dauerhaft sind. So, wie man es sich von guten Bauten der gemeinnützigen Bauträger in Vorarlberg gewohnt ist.

In Feldkirch Altenstadt erstellte die Wohnbauselbsthilfe vorgefertigte Bauten in Holztafelbauweise.

Holz bestimmt auch den Innenausbau. Die Dreizimmerwohnungen bieten 65 Quadratmeter Wohnfläche.

Pro Tag eine Wohnung
Die Vogewosi – die Vorarlberger gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft GmbH – und die Wohnbauselbsthilfe achteten dabei auf einen frühen Einbezug von Unternehmen aus der Region, die Erfahrung in ­der Vorfertigung, insbesondere im Holzbau, haben. Damit mussten zwar gewisse Vergaberichtlinien über den Haufen geworfen werden, dafür konnten aber Gebäude entwickelt ­werden, denen man kaum ansieht, dass es sich um Modulbauten handelt. Und dank der Serialisierung und der Aussicht, weitere Projekte ­realisieren zu dürfen, konnten sehr günstige Preise ausgehandelt werden, die auch in Österreich Neid erwecken.
In Mäder erstellte die Vogewosi zwei Mehr­familienhäuser mit je zehn Dreizimmerwohnungen à 65 Quadratmeter Nutzfläche. Der Gebäudetyp lässt sich – auf flachen Grund­stücken – beliebig wiederholen. Er ist nicht unterkellert und besitzt im Parterre einen Fahrradraum, ­einen Trockenraum und individuelle Abstellräume. Dazu kommt ein Raum für die Haustechnik. Jede Wohnung besteht aus drei Modulen, die in zehn Arbeitsschritten in der Halle vorfabriziert wurden. Auf der Baustelle fügten die Bauarbeiter pro Tag eine Wohnung zusammen. Mit der Erstellung des Fundaments dauerte die Bauzeit bis zum Bezug nur drei Monate.

Hohe Fördermittel
Verzichtet wurde auf den Lift sowie auf den Einbau von Küchen und einer Komfortlüftung. Die Energiekennzahlen sind aber dennoch beachtlich, und aufhorchen lässt der Preis: Die Erstellungskosten ohne Grund liegen bei 2090 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche. Die Miete beläuft sich für eine 65-Quadratmeter-Wohnung auf nur 500 Euro pro Monat, inklusive Nebenkosten. Daher rührt auch das Label «Wohnen 500©», unter dem die Vogewosi ­diese Häuser vermarktet. Bereits plant sie auch ein «Wohnen 500 plus», das als Erweiterung die Barrierefreiheit und einen Mix aus 2-, 3- und 4-Zimmer-Wohnungen umfassen soll. Interessant ist für Schweizer Ohren auch die Finanzierung, die es erlaubt, die Miete pro Quadratmeter und Monat auf unter acht Euro zu drücken.
Matchentscheidend ist dabei die gute Eigenkapitalausstattung der Vogewosi, die dem Land und den Gemeinden gehört. Sie ist verpflichtet, dieses Kapital «ausschliesslich im Interesse der Mieter» und für «langfristig sozial verträg­liche Wohnungsentgelte» einzusetzen. Dazu kommt dann noch ein Darlehen der Wohnbauförderung, das 44 Prozent der ­Gesamtkosten abdeckt. Das ergibt eine in der Schweiz zurzeit unvorstellbare Zusammensetzung der Finanzierung. Die Miete von €  7,67 pro Quadratmeter und Monat setzt sich zusammen aus dem Kapitaldienst für den Baugrund, die Erstellung und die Darlehen im Umfang von €  4,09, aus den Kosten für den Unterhalt und die ­Erneuerung, für das Ausfallsrisiko und die Verwaltung sowie die Umsatzsteuer von total ­€  1,38 sowie aus den Akontozahlungen für Nebenkosten und darauf erhobenen Steuern von €  2,20.

Bei den Häusern in Rankweil kam die Holz-Beton-Verbundbauweise zum Einsatz.

Hohe Zufriedenheit
Gespräche anlässlich einer Besichtigung im Rahmen eines Praxis-Checks der Wohnen Plus Akademie und unseres österreichischen Partnermagazins zeigten, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen in diesen Wohnungen, die zwar kleine Einschränkungen wie das Fehlen eines Lifts mit sich bringen, ­dafür aber durchaus attraktiven Wohnraum bieten, eingebettet in Aussenräume, die einfach möbliert, aber gut nutzbar sind. So finden sich in Feldkirch Altenstadt (siehe Kasten) etwa kleine Pflanzplätze und immer genügend Fahrradabstellplätze.
An den Diskussionen wurde klar, dass es sich noch um Einzelprojekte handelt, die sich ­verbessern lassen. So plädierte etwa Wilhelm Muzyzcyn von der Alpenländischen Heim­stätte für mehr Vielfalt bei den Fassaden. Einig waren sich die Anwesenden mit dem Voge­wosi-Geschäftsführer Hans-Peter Lorenz, der betonte, die Abstriche beim Komfort dürften nicht zu einem Armenhausimage führen. Gute Kommunikation und eine Einzugsbegleitung seien darum wichtig. Für die Bauträger handelt es sich schliesslich um langfristige Investitionen, nicht nur um eine Zwischenlösung.

Zukunftsweisende Serialisierung
Vielversprechend schaut die Bilanz bezüglich der Effizienz bei der Planung und der Erstellung aus, besonders bei den kleinen Loseinheiten, die sonst als teuer und ineffizient gelten. Serialisierung und Vorfertigung haben also durchaus Zukunft im gemeinnützigen Wohnbau, nicht nur unter besonderen Rahmen­bedingungen wie einer Flüchtlingskrise. Ein Vorteil liegt auch in der Qualitätssicherung bei der Ausführung dank der Vorfertigung im Werk. Das ist ein Joker, der angesichts des Mangels an handwerklichen Fachkräften auch für die betriebliche Ausbildung genutzt werden kann. Vorfertigung hat also Zukunft – im Holzbau, aber nicht nur –, weil die Rahmenbedingungen nicht überall auf Wachstumskurs eingestellt sind und die Kosten öfter entscheidend werden. Es lohnt sich also, aus solchen Erfahrungen zu lernen, solche Projekte weiter zu entwickeln – auch in der Schweiz.

Feldkirch Altenstadt: Holztafelbauweise

In Feldkirch Altenstadt erstellte die gemeinnützige Genossenschaft Wohnbauselbsthilfe günstigen Wohnraum: Die Bauzeit dauerte etwas ­länger als in Mäder, nämlich sieben Monate. Die Wohnbauselbsthilfe entschied sich statt für die Fertigmodule für die Holztafelbauweise, die ebenfalls ­einen hohen Vorfertigungsgrad erlaubt. Bei den Wohnungstrennwänden kam hier aber Stahlbeton zum Einsatz. Für die Decken verwendeten die Bauleute in Feldkirch Altenstadt das von der im Bregenzerwald ansäs­sigen Firma Sohm patentierte Diagonaldübelholz, während bei einem ähnlichen Bau in Rankweil Holz-Beton-Verbunddecken verbaut wurden. Im Unterschied zum Beispiel Mäder reicht hier die Vielfalt der Wohnungen von der 1-Zimmer-Wohnung mit 35 Quadratmetern bis zur 4-Zimmer-Wohnung mit 95 Quadratmetern. Die Baukosten und die Mieten sind leicht höher, aber immer noch sehr günstig. Die Miete pro Quadratmeter und ­Monat beträgt €  8,80. Der Hauptunterschied liegt bei der Finanzierung: Die Eigenmittel der Wohnbauselbsthilfe und ihrer Mieterschaft sind wesentlich kleiner, und ­darum müssen mehr Fremdmittel aufgenommen werden.