Baugenossenschaft Schönau in Zürich erneuert Nordteil ihrer Stammsiedlung

Zweite Blüte der Gartenstadt

Eine Gartenstadt zu erneuern, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Baugenossenschaft Schönau ersetzte deshalb vorderhand nur einen Teil ihrer Stammsiedlung am Schönauring in Zürich Seebach. Das Ergebnis überzeugt: Die Neubauten fügen sich trotz eigen­ständiger Architektur ins Ensemble ein – und die Baugenossenschaft ergänzt den Altbestand mit zeitgemässem Wohnraum.

Von Richard Liechti | Katja Jug, Ruedi Walti | Dezember 2017

Bei der Wohnüberbauung Schönauring kommt die Fachwelt ins Schwärmen. Die kompakte Dorfsiedlung am Rand des Zürcher Quartiers Seebach gilt als herausragendes Beispiel für die Planerkunst von Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner, der die Idee der Gartenstadt in den Norden Zürichs trug. In Seebach setzte er die Wohnsiedlungen wie Inseln in die damals noch durchwegs grüne Umgebung. Auch vom Konzept einer «Stadtblume», bei der die Siedlungen wie Blätter in der Landschaft liegen, ist die Rede. Mit ihrer Ringstrasse, um die sich die Gebäude gruppieren, sticht die Stammsiedlung der Baugenossenschaft Schönau von 1948/49 heraus. «Ein auch im Luftbild wahrnehmbarer Siedlungskörper, dessen Bebauung zwar durchlässig und offen wirkt, gleichzeitig aber zur umgebenden Landschaft klare Grenzen zieht», schreiben Knap­kiewicz & Fickert Architekten.

Idyll mit Erneuerungsbedarf
Noch beliebter ist die Überbauung mit rund 140 Geschosswohnungen und 48 Reihenein­familienhäusern bei den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern. Obwohl die Stadt auch hier gewachsen ist, weiden unmittelbar neben dem Schönauring Kühe, reicht der Blick weit über den Lauf des Katzenbachs und die umliegenden Hügel. Kein Wunder, dass gerade die Bewohnerinnen und Bewohner der Reihenhäuser dieses Idyll erhalten wollen. Das bekam der Genossenschaftsvorstand zu spüren, als er eine Arbeitsgruppe bildete, um Varianten für die weitere Entwicklung dieses baulichen Erbes zu untersuchen.
Man schrieb das Jahr 2009, dreissig Jahre ­waren seit der letzten Erneuerung vergangen. Mehr als die Hälfte der Wohnungen der Genossenschaft besassen nur drei Zimmer und entsprachen damit nicht mehr den Bedürfnissen von Familien. Doch auch Paare nach der Familienphase zogen weg, weil die Genossenschaft keine geeignete Folgewohnung anbieten konnte. Für die älteren Bewohner stellten die fehlenden Lifte ein Problem dar. Und schliesslich ­bestand bei den Reihenhäusern Verdichtungspotential.

Die grossen Loggien bilden ein zusätzliches «Aussenzimmer».

Die Türme aus gestapelten Balkonen wirken wie Tore zu den Eingangshöfen.

Opponenten eingebunden
Obwohl noch alles offen war und der Zeitplan bewusst langfristig ausgelegt, regte sich Widerstand. Mit einer «Echogruppe», bestehend aus Mieterinnen und Mietern, Vorstandsmitgliedern und externen Fachleuten, lotete man die weitere Entwicklung aus. «Wir merkten rasch, dass wir die Reihenhäuser nicht anrühren dürfen», erinnert sich Beat Mörgeli, Präsident der Baugenossenschaft Schönau. Man beschloss, die Siedlung in drei Bereiche mit jeweils unterschiedlicher Perspektive zu unterteilen. Die Reihenhäuser am südlichen Ende blieben dabei erhalten und würden nur einer Innenrenovation unterzogen. Der mittlere Siedlungsteil mit viergeschossigen Häusern sollte zwar Teil eines Architekten-Studienauftrags sein, eingreifen würde man aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Einzig die Zeile nördlich des Schönaurings mit ihren einfachen Blöcken würde man durch Neubauten ersetzen.
«Nur mit diesem Vorgehen hatten wir die Chance, das Thema Ersatz überhaupt einzubringen», ist Beat Mörgeli überzeugt. Zwar habe es hitzige Diskussionen gegeben, eine offene Konfrontation mit den Opponenten konnte man aber verhindern. «Wir sind keine Immobilienfirma, sondern wirklich noch eine Genossenschaft, die auf berechtigte Einwände der Bewohner eingeht», sagt der Präsident. Das hänge sicher auch mit dem dörflichen Charakter der Stammsiedlung zusammen. Auch die weiteren Etappen der Baugenossenschaft Schönau – darunter ein Hochhaus von 1964 sowie die gemeinsam mit der Baugenossenschaft Linth-Escher erstellte Neubausiedlung Stähelimatt von 2007 – liegen ganz in der Nähe. An der Generalversammlung 2010 stimmten die Mitglieder dem Kredit für einen Studienwettbewerb denn auch zu und gaben damit grünes Licht für den Aufbruch in eine neue Ära.

Gartenstadtkonzept neu umgesetzt
Mit der Organisation des Studienauftrags betraute die Genossenschaft das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Die Anforderungen an die zehn eingeladenen Architektenteams waren hoch: Es ging nicht nur um ein Ersatz­projekt für ein Teilareal, sondern um ein Gesamtkonzept für die Erneuerung des Schönaurings ­innert rund 35 Jahren. Und selbstverständlich sollten die Qualitäten des Aussenraums und der Dorfcharakter erhalten bleiben. Das Rennen machte das Zürcher Architekturbüro Knapkiewicz & Fickert, in der Genossenschaftswelt bekannt durch die Überbauung Klee in Zürich Affoltern. Ihm sei die Umsetzung des Gartenstadtkonzepts in der Neuzeit am besten gelungen, urteilte die Wettbewerbsjury.
Das Ergebnis kann man inzwischen vor Ort überprüfen: Seit letztem Sommer sind die rund achtzig neuen Wohnungen bezogen. Am nördlichen Rand des Schönaurings erstreckt sich nun eine dreigeschossige Häuserzeile, deren Spiel der Höfe und Balkontürme einzigartig ist. Die einzelnen Hauszeilen werden durch offene Balkonelemente so verbunden, dass Hofräume entstehen, die sich mäanderartig alternierend gegen den Strassenraum und die umgebende Landschaft hin öffnen und schliessen. Damit entsteht die gewünschte Verzahnung zwischen Siedlung und Freiraum, die im bestehenden Siedlungsbild bereits angelegt ist.

Die Natursteinböden finden sich in Wohn-Ess-Bereich, Korridor, Bad und Treppenhaus.

Zimmer im Freien
Auf der Strassenseite wirken die Türme aus gestapelten Balkonen mit ihren ausladenden Vordächern wie Tore zu den Eingangshöfen. Diese Terrassen sind als «Zimmer im Freien» aus­gestaltet, mit ihren offenen Brüstungszäunen sollen sie die Bewohnerinnen und Bewohner zur individuellen Gestaltung einladen. Mit ­ihrem fortlaufenden Rhythmus bilden Balkonstützen, Putzfelder und Fenster eine Art Endlosband mit einer vertikalen Struktur, das nur durch die Farbwechsel der Putzfelder unterbrochen wird – ein Farbkonzept, das die Genossenschaft derart überzeugte, dass sie nun da­rüber nachdenkt, es auf die ganze Siedlung anzuwenden.
Am östlichen Rand des Schönaurings bilden der neue Gemeinschaftsraum und der bestehende Kindergarten das Zentrum der gesamten Anlage. Mit dem sechseckigen Pavillon hat die Genossenschaft ein neues Herz der Siedlung geschaffen. Er umfasst ein Foyer mit ­Bar und zwei aufteilbaren festlichen Gemeinschaftsräumen mit gut 120 Quadratmetern ­Fläche. Hier sollen Altersturnen und Chlaus­abend ebenso Platz finden wie soziale Treffen, die der Gemeinschaft dienen. Im Untergeschoss hat man zudem zumietbare Hobby­räume eingerichtet.

Enorme Nachfrage
Die 78 Neubauwohnungen mit zweieinhalb bis fünfeinhalb Zimmern bieten allen üblichen Komfort. Mit 94,5 bis 97,5 Quadratmetern bei der Viereinhalbzimmerwohnung sind die Wohnflächen vergleichsweise bescheiden. «Wir wollten günstigen Wohnraum», erklärt Beat Mörgeli. Dabei sei klar gewesen, dass man nicht billiger bauen könne als andere Investoren. Deshalb machte man vor allem bei den Wohnzimmern gewisse Abstriche bei den Flächen. Dies kompensierte man bei den Küchen und den grosszügigen Loggien.
Wie geplant konnte nicht nur die Zahl der Familienwohnungen erhöht, sondern auch das Angebot für ältere Genossenschaftsmitglieder vergrössert werden. Rund 1950 Franken einschliesslich Nebenkosten beträgt die Monatsmiete einer 4 ½-Zimmer-Wohnung – ein Preis, der auch deshalb möglich wurde, weil man hier auf eigenem Land baute. Die Nachfrage war enorm: Rund 1500 Bewerbungen habe man erhalten. Dabei wechselte von den früheren ­Mietern niemand in die Neubauten; viele fanden jedoch ein neues Zuhause in einem anderen Siedlungsteil. Aus den bestehenden Bauten gab es jedoch mehr Wechsel als erwartet.

Langfristige Pläne
Wie geht es weiter am Schönauring? Die 48 Reihenhäuser hat man zwischenzeitlich plan­gemäss renoviert, was mit 4,5 Millionen Franken zu Buche schlug. Die Planung für den Ersatz des mittleren Siedlungsteils wird 2018 in Angriff genommen. Offen ist, ob dort – wie einst im Wettbewerb vorgesehen – das gleiche Konzept wie beim neuen Teil umgesetzt wird. Denkbar allerdings wäre es, denn mit den Ersatzneubauten ist man rundum zufrieden. «Was wir hier erhalten haben, ist gut», so das Fazit des Genossenschaftspräsidenten.

Baudaten

Bauträgerin:
Baugenossenschaft Schönau, Zürich
Architektur:
Knapkiewicz & Fickert Architekten AG, Zürich
Unternehmen (Auswahl):
Implenia Schweiz AG (Baumeister)
Blumer Techno Fenster AG (Fenster
Holz-Metall)
Astor AG (Küchen)
Lift AG (Aufzüge)
GGZ Gartenbau (Gärtnerarbeiten)

Umfang:
78 Wohnungen, Gemeinschaftshaus, Tief­garage (80 Plätze)
Baukosten (BKP 1–5, ohne Gemeinschaftshaus):
38,2 Mio. CHF total
4880 CHF/m2 HNF (exkl. Parkierung)
Mietzinsbeispiele:
2 ½-Zimmer-Wohnung (51 m2):
1060 CHF plus 100 CHF Nebenkosten
3 ½-Zimmer-Wohnung (78 m2):
1480 CHF plus 120 CHF Nebenkosten
4 ½-Zimmer-Wohnung (96 m2):
1800 CHF plus 150 CHF Nebenkosten

Eigener Stromspeicher

Die Neubauten am Schönauring be­sitzen zwar kein Minergiezertifikat, da man auf die dafür notwendigen kontrollierten Lüftungen verzichtet hat. Pro Wohnung gibt es eine Nachströmöffnung, die sich in der Küche befindet. Trotzdem ist das Energie­konzept ­äusserst nachhaltig: Die Energieproduktion für Heizung und Warmwasser erfolgt zu hundert Prozent über eine Erdsonden-Wärmepumpe. Eine Photo­voltaikanlage auf den Dächern liefert Solarstrom, den man direkt für den ­Allgemeinstrom und die «e-Tank­stellen» in der Tief­garage für Elektro­velos und andere Kleinfahrzeuge nutzt. Überschüssige Energie wird pro Haus in einem Solarspeicher im Keller zwischengelagert. Erst wenn dessen Batterieleistung erschöpft ist, muss das Stromnetz angezapft werden.