Wenn Genossenschafterinnen und Genossenschafter selber bauen

Do it yourself!

Zupackende Menschen braucht es immer, wenn ein genossen­schaftliches Wohnprojekt entstehen soll. Manche aber legen wortwörtlich Hand an und bauen gleich selber. So auch die Mitglieder der «Wohnstatt» im bernischen Wohlen.

Von Liza Papazoglou | Bilder: Martin Bichsel | April 2018

Schmunzeln. Wenn eine Städterin aus Zürich sich aufs bernische Land wagt, wo die Höfe weit verstreut liegen und das mit Adressen und Hausbeschriftungen so eine Sache ist, kann es schon mal Irrwege und Verspätungen geben. Nach einigem Hin und Her und ein paar Telefonaten ist es nun aber doch geschafft, und die Begrüssung fällt umso herzlicher aus. «Du kommst grad richtig. Wir machen Kaffeepause», sagt Jerry Müller und führt uns in den provisorischen Gemeinschaftsraum. Im angrenzenden Gebäude, der ehemaligen Maschinenscheune, verstummt die Fräsmaschine. Ramon Wili und Mättu Jost stossen zu uns. Nicole Orschel deckt den Tisch, Pan Gander setzt Kaffee auf und bietet Eier an – frisch gelegt von den Hühnern, die frei auf dem ganzen Gelände herumlaufen.
Hühner gab es hier auch schon früher. Sogar Zehntausende, erzählt Jerry bei der wohlverdienten Pause. Die erste Tranche der anstehenden Arbeiten ist bereits geschafft. Nun ist von den Leuten, die heute ihren Einsatz leisten, zu erfahren, wie es überhaupt zu ihrem «Do-it-yourself»-Projekt gekommen ist. Der Hof, ausserhalb von Wohlen (BE) mitten in der Landwirtschaftszone an einem bewaldeten Tobel gelegen und mit Alpensicht gesegnet, wurde 1942 als Hühnerfarm erstellt. Dass die Mitglieder der Wohnbaugenossenschaft Wohnstatt ihn eigenhändig um- und ausbauen, hat eine längere Vorgeschichte.

In zwei Anläufen zum Ziel
Diese betrifft zum einen die Genossenschaft selber. Sie entstand aus einer Gruppe von Gleichgesinnten, Menschen im Umfeld eines Freundeskreises in Bern mit der Vision eines gemeinsamen Wohnprojekts. Selbstverwaltet, gemeinschaftlich, solidarisch sollte es sein, eine echte Gemeinschaft, deren Mitglieder teilhaben und sich einbringen. Die gemeinsam anpacken, gestalten und über Wichtiges entscheiden. Kein Wunder also, dachte man bald schon daran, eine Genossenschaft zu gründen, basiert diese doch auf eben diesen Grundsätzen. Und man suchte nach einem geeigneten Haus, in Bern oder in Velodistanz dazu.
2010 warf die Gruppe ein Auge auf den ehemaligen Hühnerbetrieb in Wohlen. Der nämlich stand damals leer und war schon seit längerem zum Verkauf ausgeschrieben. Seine Ursprungsfunktion hatte er bereits in den 1970er-Jahren eingebüsst, stattdessen liess der Besitzer ein paar einfache Wohnungen einrichten. Haupthaus und Nebengebäude verlotterten aber zusehends und kamen schliesslich auf den Markt. Eigentlich eine ideale Anlage für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt. Die Rahmenbedingungen entpuppten sich allerdings als undurchsichtig: Niemand wusste, mit welchen Auflagen für eine erneute Wohnnutzung in der Landwirtschaftszone zu rechnen und wie viel Wohnraum möglich war, ob die früheren Ausbauten legal erfolgt waren, welche Kosten auf einen zukamen. Zudem waren die Preisvorstellungen des Besitzers überrissen. Man verhandelte, überlegte, zauderte. Alles war offen, es ging nicht voran. «Irgendwann war die Energie draussen, und alles verlief im Sand», erinnert sich Pan.

Finanzen und Spass an der Sache
Der Sozialarbeiter hat die Höhen und Tiefen des Projekts von Anfang an miterlebt. Die Irrungen und Wirrungen, bis sich schliesslich die Gruppe teils neu formierte und noch einmal daran machte, ihre Vision umzusetzen. Diesmal wollte man Nägel mit Köpfen machen. Der Kaffee ist mittlerweile ausgetrunken, aber die Tischrunde bleibt hocken und erzählt. Ende 2012 wurde die Wohnbaugenossenschaft Wohnstatt gegründet. Es gab Berechnungen, Abklärungen, Denkarbeit. 2015 war man bereit für den zweiten Anlauf, mit besseren Karten: Mittlerweile war der Kaufpreis gesunken, eine Kostenkalkulation erstellt und der Umfang möglicher baulicher Eingriffe geklärt. Im April 2016 konnte die Wohnstatt schliesslich den Hof kaufen.
Klar war, dass man einen Grossteil der geplanten Bauarbeiten selber übernehmen wollte. «Das wäre anders gar nicht finanzierbar gewesen, trotz dem Entgegenkommen der Bank und Privatdarlehen. Aber wir hatten auch einfach grosse Lust, das selber zu machen», erinnert sich Jerry. Gerüstet war man dafür bestens, finden sich doch unter den 17 Genossenschaftsmitgliedern unter anderem drei Schreiner(innen), ein Zimmermann, ein Maurer und ein Metallbauer. Leute, die wissen, wie man Hand anlegt; diejenigen mit anderem beruflichem Hintergrund waren bereit, es zu lernen.

Vom fast vollständigen Rückbau über das Dämmen und Wändebauen bis zum letzten Schliff haben die Genossenschafterinnen und Genossenschafter fast alles selber gemacht.

Rückbauen und neu bauen
Genug geredet. In der ehemaligen Maschinenscheune sind nun wieder alle am «bügle», ausser Jerry, der den Besuch herumführt. Er weist auf das neue Dach und die helle Holzfassade des dreigeschossigen Hauses – alles von den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern selber gemacht: In den letzten anderthalb Jahren haben sie das frühere Nutzgebäude fast vollständig rückgebaut und zu einem Wohnhaus umgestaltet. Gemeinsam haben sie Schalungen und Wände gebaut, Dämmplatten und Dielen gelegt, Böden saniert, Schächte verlegt, gemauert. Als wir die Treppen hochsteigen, herrscht typisches Baustellenflair. Überall stehen Säcke, Kisten und Baumaterialen herum, ein Tisch quillt über vor Werkzeug, Kabel ragen in die Luft, es staubt, irgendwo röhrt Musik.
Im zweiten Stock verlegt Ramon Dielen; der Schreiner gehört zu den Profis hier. Mättu passt derweil Holztürrahmen ein, dazwischen ist Pan unterwegs und legt mal hier, mal dort Hand an. Alles wirkt eingespielt, die Stimmung ist locker. Noch dieses Frühjahr wird in die etagenfüllende Sechszimmerwohnung eine WG einziehen. Fast fertig ist die Familienwohnung im ersten Stock; Nicole steht auf der Leiter und entfernt Malerband und Packpapier, die das Holzwerk beim Streichen vor Spritzern geschützt haben. Gefragt, wie es ihr denn so gehe mit dem Selbermachen, meint die Kleinkindererzieherin, es mache ihr Spass. Meistens wenigstens. «Ausser das Dämmen – wenn du da stehst und staubtrockene Holzwolle auf dich runterrieselt … das ist schon gruusig!» Sie verdreht die Augen und muss lachen.

Selbstverpflichtung zu Arbeitstagen
Spass am Mitarbeiten hat auch der IT-Fachmann Jerry. Nun ja, vielleicht nicht gerade an dem «Ofenzeugs», das ihm zugefallen ist; es gilt, Farbe von alten Radiatoren wegzukratzen, die hier eingesetzt werden. Aber alles in allem seien alle positiv unterwegs und die Stimmung sei meist gut. Vor allem aber habe er enorm viel gelernt, «fast wie in einer richtigen Lehre». Man hat sich gegenseitig vieles beigebracht, voneinander profitiert. «Eine Lehrerin etwa, die noch nie eine Fräse in der Hand gehalten hatte, bedient heute alle Maschinen. Das isch doch höllecool!»
Grundsätzlich leistet jedes Genossenschaftsmitglied einen bis zwei Arbeitstage pro Woche. Ursprünglich sollten es zwei sein. «Das hat sich bei den meisten neben Job und Familie aber als unrealistisch erwiesen», sagt Jerry. Wie viele Gratisstunden schon investiert wurden und welche Kosten die Genossenschaft damit einsparen konnte, wurde zwar aufgeschrieben, aber noch nicht genau berechnet. Jerry schätzt aber, dass achtzig Prozent der Arbeiten in Eigenleistung erbracht wurden und im Durchschnitt zwei Personen pro Werktag anpacken. Alles in allem dürfte das bis jetzt etwa 6000 Arbeitsstunden ergeben.
Ob auch künftig in diesem Umfang Gratiseinsätze geleistet werden, steht derzeit zur Diskussion. Die Wohnstatt rechnet mit weiteren Umbauarbeiten bis mindestens 2022; da könnte der einen oder dem anderen der Schnauf ausgehen. Denn auch wer voll hinter dem Prinzip Selberbauen steht, muss sich die Einsätze zeitlich und finanziell erst mal leisten können. Nachgedacht wird deshalb über ein Teilentgelt. Ausserdem wird in der Wohnstatt auch sonst eine hohe Eigenverpflichtung erwartet; alle nehmen an den zweiwöchentlichen Sitzungen und den Thementagen alle drei Monate teil. Auch andere Wohnbaugenossenschaften, die auf Eigenbau setzen, sehen sich immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie viel sie von ihren Mitgliedern einfordern können (siehe Boxen).

Kaffeepause im provisorischen Gemeinschaftsraum. Er wird als Nächstes umgebaut.

Es gibt wieder Hühner auf dem ehemaligen Geflügelhof. Heute dürfen sie frei herumlaufen.

Auch planen gehört dazu
Ausser für die Baueingabe und die Statik kam die Wohnstatt ohne Architekten und Planungsprofis aus. Letztere sorgten vor allem dafür, dass die Vorschriften bei der Gebäudehülle und dem Brand- sowie Schallschutz eingehalten werden. Im Innern hingegen hat man selber geplant – meist rollend. «Wir haben manchmal erst mitten auf der Baustelle entschieden, wie wir eine Situation gestalten, zum Beispiel, wohin die Trennwände kommen», sagt Jerry. Dass man bei diesem Vorgehen auch Lehrgeld zahlen und bisweilen etwas doppelt machen musste, nahmen alle gelassen. «Das Treppenhaus etwa brauchte zwei Anläufe. Und einmal waren die Böden zu hoch, das passte dann mit den Türen nicht mehr. Wir mussten die Böden also rausholen und noch einmal neu aufbauen.» So oder so: Das Resultat kann sich sehen lassen. Hell, grosszügig, professionell und einladend wirken die neuen Wohnungen jetzt schon.
Sobald sie ganz fertig sind, werden alle Genossenschaftsmitglieder hier wohnen,
17 Erwachsene zwischen 29 und 38 Jahren sind es insgesamt sowie vier Kinder. Bereits bezogen sind das ursprüngliche Wohnhaus und das Stöckli, die Jerry uns nun noch zeigt. Es bleibt noch viel zu tun. Als Nächstes soll der provisorische Gemeinschaftsraum, der altes und neues Wohnhaus verbindet, komplett erneuert werden, so dass ein acht Meter hoher Saal mit gemeinsamer Küche entsteht. «Das Herzstück für das gemeinsame Zusammenleben. Wie es genau aussehen wird, entwickeln wir noch», erklärt Jerry. Auch die Infrastruktur der drei Wohnungen im ursprünglichen Wohnhaus wird irgendwann erneuert. Wir schlendern durch das weitläufige Areal, vorbei an der Pergola und an den alten Schuppen. Weiter vorne stehen Bienenkästen am Rand einer grossen Wiese; betreut werden sie von Pan, der als zweites Standbein das Imkern aufbauen möchte. Daneben soll ein Garten entstehen.

Entscheiden im Konsensprinzip
Zurück Richtung Haus kommen wir am ehemaligen Stöckli vorbei. Lauschig schaut es aus. «Ja, aber es muss irgendwann wohl abgerissen werden, da es von Hausschwamm befallen ist», meint Jerry lakonisch. Die Mitglieder der Wohnstatt werden auch hier zu gegebener Zeit eine gute Lösung finden und gemeinsam anpacken. Weiter hinten im Gelände ist ein Swimmingpool zu sehen, den der vorherige Besitzer hinterlassen hat. «Es war nicht klar, was wir damit anfangen sollen, einige wollten ihn unbedingt behalten. Da wir nach dem Konsensprinzip entscheiden und niemand ausdrücklich auf Abreissen pochte, werden wir ihn also vorderhand weiterbetreiben. Auch wenn das nicht alle nötig finden.» Auch das gehört zu den Prinzipien der Wohnstatt: leben und leben lassen.
Kurz vor dem Haus spazieren uns ein paar Hühner über den Weg, überwacht von einem grossen Hahn mit buntglänzendem Gefieder. Heute leben die Hühner glücklich hier, nicht wie früher in der Massentierhaltung. Nur dem Vorgänger des Hahns ging es an den Kragen. «Er litt unter dem Gepicke der Hühner – und er war unerträglich laut», stellt Jerry fest und lächelt verschmitzt. Er musste ihn schliesslich zum Schweigen bringen. Auch das eigenhändig.

Eigenleistung und Finanzierung: Via Felsenau

Zu den wohl aussergewöhnlichsten genossenschaftlichen Eigenbauprojekten gehört die Wohnbaugenossenschaft Via Felsenau in Bern. Das liegt an ihrer Geschichte, die auf die Jugendunruhen der 1980er-Jahre zurückgeht, als Jugendliche gegen Wohnungsnot demonstrieren. Es entsteht die Idee, den Jungen Gelegenheit zum Bauen statt zum Randalieren zu geben, und die Stadt stellt schliesslich Land für experimentelles Bauen zur Verfügung. In vielen Workshops werden Ideen entwickelt, 1989 schliesslich wird die Genossenschaft Via Felsenau gegründet.
Konsequenterweise entsteht das erste Wohnprojekt im Eigenbau. Ab 1991 wird die erste Etappe – ein Wohngemeinschaftshaus mit sechs WG-Wohnungen und einer gemeinsam nutzbaren Glaspyramide – realisiert: Vierzig Leute leisten in zwei Jahren 40 000 Arbeitsstunden, um die Holzständer-Lehmbauten zu errichten. Etwa zwei Drittel werden in Eigenleistung erstellt, was die Baukosten um vierzig Prozent reduziert. Wohnrecht erhält nur, wer mindestens 80 Arbeitsstunden gratis investiert. Danach erhalten alle am Bau Beteiligten – vom Architekten bis zu Handwerkerinnen und mitwirkenden Laien – einen Einheitsstundenlohn von zwanzig Franken. «Das hat gut funktioniert», erinnert sich der planende Architekt Arwed Junginger, der heute noch in der Via Felsenau wohnt. «Einzelne waren zwei Jahre voll beschäftigt.»
Dennoch wird bei der zweiten Bauetappe 2001, die weitere zwanzig Wohnungen umfasst, nur noch der Innenausbau in Eigenleistung ausgeführt. Die Bewohnerinnen und Bewohner erhalten das nötige Material und verarbeiten dieses selber oder organisieren jemanden dafür. Nach diesem Prinzip soll auch die nächste Erweiterung erfolgen, die 2018/2019 ansteht. Letztlich gehe es ja darum, dass alle ihren Beitrag leisten. «Das muss nicht unbedingt Bauen bedeuten – auch andere Formen des Mitmachens zählen, etwa Sitzungen oder die Organisation von Anlässen», sagt Arwed Junginger. Teilnehmen müssen die Genossenschaftsmitglieder aber immer noch an drei von vier Siedlungsarbeitstagen, an denen vor allem Umgebungsarbeiten ausgeführt werden.

Langfristengagement: Rosenbühl

Schaufeln, pflanzen, streichen, Steine verlegen: Bei der Wohnbaugenossenschaft Rosenbühl aus Oberuzwil (SG) helfen die Mitglieder immer wieder mit, ihre Siedlung aus den 1970er-Jahren samt Umgebung in Schuss zu halten. So haben sie 2014 den Kinderspielplatz selber neu gestaltet und im letzten Herbst mitgeholfen, das lecke Garagendach unter Anleitung in 600 Stunden Gratisarbeit zu reparieren. Seit Jahren wird überdies jedes Frühjahr ein «Holztag» durchgeführt, bei dem die Bewohnenden der 42 Wohnungen zum Beispiel gemeinsam Bäume und Sträucher schneiden, Unkraut jäten und häckseln.
Das tönt eigentlich gut. Die Mitglieder zu motivieren, stellt sich allerdings als immer schwieriger heraus. Präsident Ivo Looser: «Meist sind es die gleichen paar Leute, die anpacken. Das ist beim Holztag so, aber auch beim Garagendach waren es gerade mal ein knappes Dutzend Genossenschafter, die regelmässig mitarbeiteten. Viele schauten nur ein- oder zweimal vorbei.» Dabei werden im Rosenbühl solche gemeinsamen Einsätze in erster Linie durchgeführt, um den Gemeinschaftssinn zu stärken, und nicht, um zu sparen. Projektleiter Andreas Rickenbacher zieht denn auch eine durchzogene Bilanz: «Zwar kam das gelungene Resultat bei den Mitbewohnern gut an, und wir wurden in der Öffentlichkeit als Gemeinschaft wahrgenommen. Die, die sich wirklich ins Zeug legten, schweisste das Arbeiten zusammen, aber es waren wenige und daher das Arbeitsvolumen zu hoch.»
In Oberuzwil teilt man damit das Schicksal anderer Genossenschaften, bei denen der Anfangsschwung verflogen ist. Der Vorstand überlegt sich nun, ob und wie die Mitglieder auf freiwilliger Basis für die Mitarbeit begeistert werden können – oder ob allenfalls mehr Verpflichtung angesagt ist. Angedacht sind finanzielle Anreize, aber auch obligatorische Einsätze. Denn, erinnert Ivo Looser: «Es geht um mehr als ‹nur› günstiges Wohnen. Wir möchten die Eigenverantwortung stärken und den Leuten bewusst machen, dass sie als Genossenschafter einen Mehrwert haben: Gemeinschaft und Solidarität.»