Schöpferisch sein als Lebensprinzip

«Ich will Dinge verweben»

Bewegungen, Kleider, Klänge und Begegnungen: Ruth Grünenfelder hat schon immer aus sich heraus Neues geschaffen. Nun hat die Zürcherin den Sprung in die Selbständigkeit gewagt.

Von Ben Kron | Bilder: Renate Wernli | April 2018

An der Wand hängt ein Poster mit einheimischen Singvögeln, auf dem Bügelbrett liegen selbst entworfene und genähte Lätze für ein Restaurant, in der Ecke steht ein exotisches Saiteninstrument; mittendrin sitzt Ruth Grünenfelder am Schreibtisch und notiert sich Stichworte für ein Ritual zur Einweihung eines Behandlungsraumes. Freunde von ihr haben sie dafür engagiert.
Ein bisschen wie ein Vogel, der jetzt im Frühling sein Nest baut, bewegt sie sich voller Tatendrang von einem Wirkungsfeld zum andern. Unter dem Namen «Gimpel» – eine bunte Finkenart – wagte sie denn auch den Schritt in die Selbständigkeit. Sie strahlt, wenn sie davon erzählt: «Ich bin daran, aus all meinen Fähigkeiten und Kompetenzen mein eigenes Berufskleid zu schneidern. Und es ist faszinierend, zu sehen, wie sich die äusserlich so unterschiedlichen Gebiete gegen­seitig ergänzen.» Doch der Reihe nach.

Tanz statt Büro
Ruth Grünenfelder kam 1966 zur Welt, wuchs in Wettswil bei Zürich auf, machte die Handelsschule. «Ich wusste aber, dass ich keinen Beruf ausüben will, bei dem ich sitze. Ich bin ein Bewegungsmensch. Schon als Kind war ich ein Wildfang, träumte davon, Tänzerin zu werden.» Also ging sie nach Basel, wurde Gymnastiklehrerin, und dann für zwei Jahre nach Amsterdam, wo sie postmodernen Tanz an der Kunsthochschule studierte. Zurück in der Schweiz fasste sie rasch Fuss in der freien Tanzszene, kreierte Solo­stücke und Choreographien, erhielt Engagements und Auszeichnungen. Eine strenge, aber erfüllte Zeit, jeder Tag anders und voller Herausforderungen. «Aber das Leben als Tänzerin ist Spitzensport. Mit Anfang dreis­s­ig wurde ich müde, begann mir Fragen zur Zukunft zu stellen.»
Der Wunsch nach Stabilität und konstanterem sozialem Umfeld veranlasste sie zum Bruch. Sie hörte mit Tanz und Büh­nendasein auf, fand Arbeit in der Verwaltung der Kultkino AG in Basel, später beim Filmverleih Columbus, wo sie organisatorische und filmvermittelnde Aufgaben übernahm. Kulturvermittlung als neues Wirkungsfeld.

Flüchtiges und Dauerhaftes
Doch das Bedürfnis nach kreativem Ausdruck meldete sich bald wieder. «In dieser Zeit ist das Nähen zu mir gekommen. Angefangen hat alles mit Putzfäden. Daraus habe ich mit Tausenden von Stichen kleine Puppen gemacht. Die Arbeit mit Stoffen ist für mich wie das Tanzen auch eine Art von Meditation.» Kurse bei einer Kostümbildnerin und die Weiterbildung zum professionellen Kleidernähen und Schnittzeichnen sorgten für das handwerkliche Rüstzeug, und bald nähte sie ihr erstes eigenes Kleid. «Anders als beim Tanz, der vom Moment lebt, hatte ich hier etwas Dauerhaftes geschaffen.»
All die Wirkungskreise, die sich im Laufe von Ruth Grünenfelders Leben aufgetan haben, wurden durch ihren Umzug nach Zürich zu einem Netz verdichtet. Sie zog mit ihrem Mann in ein altes Riegelhaus in Albisrieden, Wand an Wand mit dem Ortsmuseum. «Das Quartier ist eine Art Biotop, man kennt sich, pflegt eine gute Gemeinschaft.» Der Boden fürs Nest war gelegt, sie begann, weitere Fäden zu knüpfen, und musste nicht weit gehen dafür: «Ich hatte die Idee, den Heuboden im Ortsmuseum mit Kultur zu bespielen. Zu viert zogen wir die Reihe ‹Heuwender› auf.» Seit fünf Jahren organisiert das Team niederschwellige Kultur, mit Erfolg: «Wir hatten von Anfang an volles Haus.» Hinzu kamen das Engagement in einem Flüchtlingsprojekt in der Nachbarschaft und für den Quartierverein Hochneun, aus dem heraus 2017 der «Schopf» entstand, eine Art Quartierwohnzimmer mit breitem Angebot. Das passt zu Ruth Grünenfelders Credo: «Ich will Dinge miteinander verweben, Menschen vernetzen, Begegnung ermöglichen.»

Zum Schneidern führten selbstgemachte Puppen aus Putzfäden.

Der letzte Schritt
Dann fehlte noch der letzte Schritt, der in die Selbständigkeit. Also mit Ende vierzig nochmals ein Bruch: Ruth Grünenfelder kündigte ihren Job im Backoffice eines Gestaltungsbüros. Wobei ihr dieser Schritt nicht nur leicht gefallen ist und auch Ängste weckte, weil sie ihre materielle Sicherheit aufgab. «Nun muss ich mich manchmal bremsen, um nicht zu viel auf einmal zu machen, um gegen dieses Gefühl anzugehen.» Doch die Kündigung war unumgänglich: «Ich wollte immer noch nicht in einem Büro sitzen», sagt sie und lacht. «Ich fragte mich noch einmal, wohin es mein Herz wirklich zieht.»
Das war vor zwei Jahren. Seither entwickelt Ruth Grünenfelder aus all ihren Leidenschaften einen Strauss von Angeboten. Sie hat begonnen, Rituale zu gestalten, etwa für eine Hochzeit oder die Wintersonnenwende. Sie machte eine zweieinhalbjährige Ausbildung zur Feldornithologin und Exkursionsleiterin. Hinzu kamen Stimme und Gesang. Auch hier ist sie in einer Weiterbildung und hat bereits Workshops durchgeführt. Und die Arbeit mit Nadel und Faden ist ebenfalls geblieben, auch im übertragenen Sinn.
Denn Ruth Grünenfelder hat sich entschlossen, all ihre Lebensfäden zusammenzuweben und damit nach aussen zu treten. Sie hat mit dem «Gimpel» ihr «Nest für Allerhand» gebaut, wie es auf ihrer Website heisst. Dort bietet sie nun Exkursionen zu Vögeln und Pflanzen, Workshops für Stimme und Bewegung, Gestaltung von Ritualen und Anlässen, massgeschneiderte Kleider und Hüllen an. Wie das alles zusammengehört? «Ganz einfach», sagt Ruth Grünenfelder: «Die Verbindung bin ich.»

www.gimpel.ch