Berufung in alter Handwerkstradition gefunden

Ein Auge fürs Drumherum

Von Kunst umgeben war Monika Stutz dank ihrem Vater schon als Kind. Als Vergolderin sorgt sie heute dafür, dass Bilder in schönen Rahmen zur ­Geltung kommen. Die meisten stammen aus dem 19. Jahrhundert.

Text: Patrizia Legnini | Bild: Christof Seiler | April 2023

Das Gold liegt in einem kleinen Heft zwischen zwei Seidenpapieren. Vorsichtig bläst Monika Stutz das hauchdünne Blatt auf ein Kissen, das unten eine Schlaufe für den Daumen aufweist, und schneidet es mit einem Vergoldermesser in kleine Stücke. Dann stupft sie eines davon mit einem speziellen Pinsel an und wirft es mit Schwung auf die Verzierung am antiken Rahmen, der auf ihrem Arbeitstisch liegt. Der Rahmen ist einer von Dutzenden, die es in Stutz’ Atelier gibt. Ihre genaue Zahl kennt die 56-Jährige nicht. «Mein Mann findet, dass es zu viele sind», sagt sie und lacht.
In der Winterthurer Altstadt restauriert und verkauft die Vergolderin antike Spiegel und Rahmen und rahmt Bilder nach alter Handwerkstradition neu ein. Die meisten ihrer Rahmen stammen aus dem 19. Jahrhundert; in allen Grössen und Formen hängen sie an den Wänden. Die grössten Exemplare hat Stutz bloss angelehnt, auch an die Metallgestelle, auf denen sie Leime und Pinsel, Schleifpapiere und Pigmente in allen Farben sowie allerhand Vergolderwerkzeug aufbewahrt. «Früher hatte ich im Atelier nur Rahmen und Spiegel. Irgendwann merkte ich, dass mir etwas Farbiges fehlt», sagt sie. Seitdem gibt es bei ihr auch ein paar gerahmte Ölbilder zu kaufen. «Der Rahmen sollte den Charakter eines Bildes unterstreichen. Die meisten Bilder kommen in einem Rahmen, der sich etwas zurückhält, am besten zur Geltung.»

Verliebt in Berufsbezeichnung
Am meisten gefallen ihr selbst die schlichten, blattversilberten Louis Philipp-Spiegel aus Frankreich, die aus der Zeit um 1880 stammen. Damit sich das Silber nicht verfärbt, wurden sie mit gelb eingefärbtem Schelllack überzogen. «Der Goldton, der so entstand, spielt so schön mit dem Licht», schwärmt sie. Vor genau zwanzig Jahren hat sich Stutz im Haus, das um 1150 erbaut wurde, selbständig gemacht – und das nie bereut. «Es gibt fast nichts Schöneres für mich, als in Ruhe an meinen Rahmen zu arbeiten», sagt sie. Um ungestört zu sein, kommt sie oft auch ins Atelier, wenn die Eingangstür offiziell geschlossen bleibt. «So kann ich die heiklen Arbeiten in Ruhe erledigen.»
Zu ihrem Beruf ist Stutz als 26-Jährige über Umwege gekommen. Nach dem Lehrerseminar hatte sie als Reinzeichnerin in verschiedenen Grafikbüros gearbeitet und einen Vorkurs an einer Kunstschule absolviert. «Ich liebte es, mit dem Bleistift zu zeichnen», sagt sie. Doch als die Arbeit am Computer in den Büros immer wichtiger wurde, stolperte sie in einem Berufsinformationszentrum über den Beruf der Vergolderin. «Ich fand die Bezeichnung wahnsinnig schön, las den Kurzbeschrieb und wusste: Das möchte ich machen.»


"Der Rahmen sollte den Charakter eines Bildes unterstreichen"


Uralter Staub darf bleiben
Bald fand Stutz einen Vergolder in der Nähe ihres Wohnorts und überzeugte ihn davon, sie auszubilden. Nach der dreijährigen Lehre arbeitete sie lange in einem Rahmengeschäft in Zürich und absolvierte schliesslich in München die Vergoldermeisterschule. Danach mietete sie sich in ihrem Atelier ein. Am liebsten restauriert Stutz hier alte, verzierte Goldrahmen, die Absplitterungen aufweisen, und rekonstruiert die fehlenden Stücke mit einem Abguss aus einer Negativform. Die Kreidemasse, die sie dazu benötigt, stellt sie selbst her. «Viele meinen, dass es sich dabei um Gips handelt. Aber das stimmt nicht.» Die frisch vergoldeten Stellen poliert Stutz nach dem Trocknen mit einem Achat, einem Halbedelstein. Damit der Rahmen nach der Restaurierung möglichst originalgetreu aussieht, muss sie den starken Glanz danach aber wieder mit einer Mischung aus Leimen und Pigmenten abdämpfen.
Um die schöne Patina der Rahmen nicht zu zerstören, restauriert sie an ihnen aber nur das Nötigste. Nie würde es ihr etwa in den Sinn kommen, den alten Staub, der sich über die Jahrhunderte auf den Rahmen verfestigt hat, wegzuputzen oder Stellen auszubessern, über die Generationen von Menschen mit dem Staubwedel wischten. Oft schimmert dort das Poliment aus Tonerde durch, das als Unterlage für die Goldschicht aufgetragen wurde – in Rot, Gelb oder Schwarz.

Vater war Kunstsammler
Das jahrhundertealte Handwerk beherrschen heute nur noch wenige – nicht zuletzt, weil immer weniger Betriebe Vergolderinnen und Vergolder ausbilden. Auch Monika Stutz musste schon vielen jungen Leuten, die eine Lehre bei ihr machen wollten, einen Korb geben. «Das tut mir sehr leid. Aber es geht einfach nicht: Ich habe zu wenig Platz.» Zu Stutz’ Kundenstamm gehören Museen aus Winterthur und Zürich und grössere Institutionen wie Stiftungen, die Kunstsammlungen besitzen. Aber auch Privatpersonen jeden Alters kommen in ihr Geschäft. «Es sind zum Beispiel junge Leute, die sich ein Bild geleistet oder eines geerbt haben und es wichtig finden, ihm einen schönen Rahmen zu geben. Oder Leute, die ihr Haus umbauen und Lust auf einen antiken Spiegel im Entrée haben.»
Weil ihr Vater, ein Architekt, immer Bilder gesammelt hatte, war Stutz schon als Kind von Kunst umgeben. «Sie bedeutet mir viel. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich häufiger an Ausstellungen gehen», sagt sie. Auch zu Hause mag sie antike Ölbilder, die Stillleben oder Landschaften zeigen und einen schönen Rahmen haben. Ob sie alle auch in der neuen Wohnung aufhängen wird, in die sie mit ihrem Mann demnächst umzieht, ist aber noch ungewiss. «Als ich vor zwei Wochen damit begann, die Bilder abzuhängen, wirkte alles luftig und leer», sagt sie. Die Räume seien regelrecht aufgegangen. «Da merkte ich plötzlich, dass so eine leere Wand zwischendurch auch ihren Reiz hat.»

www.lecadre.ch