Die Zukunft des Bauens liegt in Kreisläufen

Es dreht sich um alles

Materialien, Energie, Wasser: Noch werden Häuser so gebaut, als gäbe es endlose Ressourcen und keine Klima-, Rohstoff- und Umweltkrise. Umdenken tut dringend Not. Projekte wie das «Kreishaus» oder das «Hobelwerk» der Genossenschaft «mehr als wohnen» zeigen, wie kreislauffähiges Bauen geht – und wo die Hürden liegen.

Text: Liza Papazoglou | Bilder: Christoph Kaminiski, Dirk Steuerwald, Devi Bühler, in situ | Dezember 2022

Das Aussergewöhnliche ist oft unspektakulär. Das zeigt sich auch an diesem Herbsttag beim Besuch des Kreishauses in Feldbach am Zürichsee, das neben weiteren Gebäuden auf
einem weitläufigen Gelände zwischen Strasse und Wiesen steht. Klein und kompakt duckt es sich halb unter das Blätterdach einer alten Kastanie. Gross aber ist, was es beweisen will: dass Wohnen schon heute auf eine Art möglich ist, bei der die Kreisläufe aller Materialien und Ressourcen geschlossen sind, von den Baustoffen über das Wasser bis zur Wärme- und Energieversorgung. Und das bei hoher Wohnqualität und ohne jeglichen Verzicht auf Komfort.
In der Tat: Angenehm ist es hier. Ein heller Wintergarten dient als Entrée und in den wär­meren Jahreszeiten als Aufenthaltsbereich, mit einer wandelbaren Holzmöbelland­schaft, die sich als Sitzfläche, Tisch oder Arbeitsbereich nutzen lässt. Das angrenzende Studio mit moderner Küchenzeile ist klein, aber gemütlich und mit allem ausgestattet, was es für einen Aufenthalt braucht. Auf den ersten Blick gibt es wenig Auffälliges. Ausser vielleicht dem Tablet an der Wand, mit dem sich Lichtstimmungen und Raumtemperatur einstellen lassen. Oder dem guten Raumklima, das sich den Holzwänden und dem Fehlen jeglicher Schadstoffe verdankt und später für einen entspannten Schlaf sorgen wird. Oder dem speziellen Holzklo im Bad und den Pflanzbeeten unter dem Wintergartendach.

Eigenes Trinkwasser, eigener Dünger
Was alles an Bemerkenswertem im Kreishaus steckt, erkennen Besuchende erst, wenn sie die überall angebrachten QR-Codes mit dem Handy einlesen. So ist etwa zu erfahren, dass das Trinkwasser im Haus aus gefiltertem Regenwasser stammt. Das sogenannte Grauwasser, das Abwasser vom Duschen oder Geschirrspülen, landet nicht in der Kanalisation, sondern wird mit einem eigens von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) entwickelten natürlichen Verfahren ebenfalls vor Ort aufbereitet. Es wird benutzt zur Bewässerung des Dachgartens und für die Waschmaschine. Und die Toi­lette kommt ganz ohne Wasser aus: Das Trockentrennklo spediert Feststoffe über eine Art Rollband in einen Wurmkomposter hinter dem Bad. Der Urin fliesst in einen Tank, wo er mit Hilfe eines speziellen Verdunstungsverfahrens und geruchsfrei zu Dünger verarbeitet wird. Mit den aus den Fäkalien gewonnenen Nährstoffen werden Pflanzen kultiviert und versuchsweise Lebensmittel produziert; ein begleitendes Forschungsprojekt soll zeigen, wie weit das möglich ist. Damit ist das Kreishaus wasserautark und schliesst den Nährstoffkreislauf.
Um genau solche Zusammenhänge geht es der Initiantin Devi Bühler: «Dass wir eine Klimakrise haben, merken die Leute langsam. Der Fokus nur auf CO2 und Energie ist aber zu eng – es gibt für weitere überlebenswichtige Ressourcen ökologische Belastungsgrenzen. Eine davon ist Wasser. Auch hier müssen wir nachhaltige Lösungen finden». Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema bewog die Umweltingenieurin vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW dazu, ein kreislauffähiges Haus zu entwickeln. Dabei spannt die ZHAW mit dem Verein Synergy Village in Feldbach und diversen Firmen zusammen.

Im Kreishaus kann man komfortabel probewohnen. Mit ihren Nutzungsdaten und Feedbacks sind Übernachtungsgäste Teil eines Forschungsprojekts.

«Temporäre Ressourcenspeicher» statt ex und hopp
Gebäude zählen zu den Hauptverbrauchern von Energie, Treibhausgasen, Wasser und Rohstoffen – entsprechend gross ist der Hebel, wenn man hier Reduktionen erreicht. Oder eben Wege findet, die Stoffe im Kreislauf zu halten. Gleichzeitig wollte Bühler eine Brücke zwischen Forschung und Praxis schlagen. «Es nützt wenig, wenn wir an den Hochschulen tolle Ideen entwickeln, die nirgends zur Anwendung kommen», sagt sie. Das Kreishaus versteht sich deshalb als Demonstrations- und Forschungsobjekt, in dem Übernachtungsgäste kreislauffähiges Wohnen selber erleben. Die Daten, die während des Aufenthalts erhoben werden, helfen zusammen mit den Nutzerfeedbacks, die Systeme weiterzuentwickeln. Ziel sind alltagstaugliche Lösungen, die im grossen Massstab umsetzbar und wirtschaftlich sind.
Im Kreishaus finden sich denn auch alle wichtigen Grundprinzipien des zirkulären Bauens: Reduzieren, wo immer es geht; wiederverwenden, was vorhanden ist; im Übrigen nachhaltige, nachwachsende Materialien verwenden – und vor allem vorausschauend so planen, dass alle Bauteile dereinst wieder vollständig demontierbar, erneut verwendbar, zu Rezyklaten verwertbar oder ohne Umweltschäden der Natur zurückgegeben werden können. Das bedingt etwa, dass man sortenreine sowie schadstofffreie Materialien verwendet und auf Techniken wie Leimen verzichtet. Wohl auf die griffigste Formel hat Nachhaltigkeitspionier Werner Sobek das gebracht: Er versteht Gebäude als «temporäre Ressourcenspeicher».

Viel wiederverwenden
Um überzeugende Lösungen zu finden, hat das Team um Bühler lange geforscht, getüftelt und entwickelt. Das Haus steht auf einem betonlosen Schraubfundament und wäre so bei Bedarf leicht rückbaubar. Die Aushuberde findet sich im Wintergartenbeet und der Umgebung wieder. Unter anderem wurden Fen­ster und Türen aus Abbruchhäusern eingebaut. Parkett aus einem Bürogebäude erhielt ein zweites Leben im Wohn­raum, für den Wintergarten hat man Feinsteinzeugplatten aus Rest- und Ausschussmaterialien verwendet und diese ohne Binde- oder Klebemittel verlegt. Recyclingmaterialien kamen auch ins Bad: Boden und Möbel sind aus Glasscherben gefertigt, die Duschwände aus verwertetem Plastik, die Armaturen aus altem Messing. Im Übrigen besteht das Haus vorwiegend aus Appenzeller Massivholz, das mit Dübeltechniken verbunden wurde. Und für Dämmung und Innenwände hat man ausschliesslich auf Naturmaterialien wie Hanfwolle, Korkschrot oder Lehmplatten gesetzt.
Kreisläufe bestimmen auch die Energie- und Wärmeproduktion, die integral im Haus erfolgt. So bilden die halbtransparenten, ins Dachglas integrierten PV-Module nicht nur einen dekorativen, schall- und wärmeisolierenden Abschluss des Wintergartens, sondern erzeugen zusammen mit der PV-Anlage der anderen Dachhälfte auch viel Strom – ­etwa das Vierfache dessen, was das Haus übers Jahr verbraucht. Eine aufgefrischte ehemalige Postautobatterie dient als Pufferspeicher, eine Miniwärmepumpe erzeugt das Warmwasser. Durch die Lüftung und eine ausgeklügelte Technik wird die Abwärme mehrfach genutzt – beispielsweise hilft die warme Gewächshausluft beim Heizen des Wohnzimmers, die Restwärme von dort wiederum wird für die Wärmepumpe genutzt.

Umsetzen im Grossmassstab?
Fast ein Jahr ist das Kreishaus nun in Betrieb. Das öffentliche Interesse am Projekt ist gross. Und das meiste klappt auch wie gewünscht, was sich in den positiven Rückmeldungen spiegelt. «Die meisten Gäste wohnen gerne hier. Allen fällt das angenehme Raumklima auf. Positiv überrascht reagieren fast alle auf das Trocken-WC, das einwandfrei funktioniert und überhaupt nicht stinkt», sagt Bühler. Herauszufinden, wie die Akzeptanz kreislauffähiger Systeme ist, zählt zu den wichtigen Zielen des Projekts. Die Da­ten­er­he­bun­gen laufen weiter, viele technische Details konn­ten bereits optimiert werden. Was der Um­weltingenieurin noch Kopfzerbrechen bereitet, ist der erwünschte Trans­fer in den Grossmassstab. Zum Beispiel bei der Wasserreinigung. Neben zeitlichen Res­sourcen und Geld braucht es geeignete Ge­bäude, die über getrennte Wasserkreisläu­fe verfügen. «Aktuell sind wir auf der Suche nach Mehrfamilienhäusern, wo man unsere Systeme breit ausprobieren kann», sagt sie.
Das Wissen, die Möglichkeiten, die Dringlichkeit kreislauffähigen Bauens: All das ist eigentlich gegeben. Die Debatte über die ­Frage, wie viel und wie überhaupt noch gebaut werden darf, ist in den letzten zwei, drei Jahren förmlich explodiert – schliesslich droht der Klimakollaps, und auch die übrigen planetaren Grenzen werden massiv strapaziert. Dennoch gibt es bis anhin abgesehen von einzelnen Pionierprojekten kaum kreislauffähige Gebäude, auch bei Baugenossenschaften nicht. Selbst Holzbauten erfüllen die Kriterien nur teilweise. Zwar binden sie CO2, solange sie stehen, und sind bei der Herstellung weniger energieintensiv als etwa Betongebäude. Je nach Behandlung und Fügetechniken ist das Holz aber nur bedingt für eine weitere Verwendung nutzbar. Andere Aspekte wie die Wassernutzung sind in der Regel sowieso kein Thema.

Wasserkreisläufe spielen eine wichtige Rolle: Das gereinigte Grauwasser wird zum Bewässern des Dachgartens genutzt, die Nährstoffe für die Pflanzen stammen von den aufbereiteten Fäkalien.

Es braucht andere Rahmenbedingungen
Dass man beim kreislauffähigen Bauen noch in den Kinderschuhen steckt, hat für Bühler vor allem strukturelle Gründe. «Bauen ist komplex, mit vielen Beteiligten, und extrem kosten- und termingetrieben. Fürs kreislauffähige Bauen müsste man die Bauprozesse ändern und viel ganzheitlicher planen.» Ein grosses Problem seien auch die gesetzlichen Bestimmungen, die gerade beim Wasser fast alles verhinderten. Zudem werde Nachhaltigkeit in der Ausbildung immer noch stiefmütterlich behandelt, oder einseitig. Entsprechend mangelt es an kundigen Fachleuten und Unternehmen. Und nicht zu vergessen: die Kosten. «Oft nimmt man aus Preisgründen einfach billigste Materialien mit vielen Schadstoffen. Das sollte verboten sein!» Dafür aber bräuchte es ein politisches Umdenken sowie scharfe Vorschriften und Anreize, ist sie überzeugt.
Bei den Vorschriften scheint sich tatsächlich etwas zu bewegen. Auf Bundesebene ist derzeit zum Beispiel die parlamentarische Ini­tiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» in Diskussion, die insbesondere den Bau­sektor im Auge hat. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverband SIA verlangt in diesem Zusammenhang unter anderem eine Pflicht für die Trennbarkeit von Bauteilen, Grenzwerte für die «grauen Treibhausgase», die durch Bauen verursacht werden, sowie obligatorische Ausweise für den Ressourcenverbrauch von Bauwerken. Ähnliches wird übrigens gerade in Deutschland diskutiert, wo ein Entwurf für einen Gebäuderessourcenpass auf dem Tisch liegt.
Dass in der Schweiz Regulierungen bereits in den nächsten Jahren Realität werden, hält Andreas Eckmanns vom Bundesamt für Energie (BFE) für sehr realistisch. «Der Kanton Genf hat bereits eine Gesetzesvorlage vorbereitet, und auch andere Kantone sind am Thema interessiert», sagt er auf Anfrage.

Hobelwerk erprobt Bauteilverwendung
Ob den weitgehenden Forderungen im politischen Prozess noch die Zähne gezogen werden, wird sich zeigen. Bis dahin braucht es mutige Pioniere, die bereit sind, pragmatisch selber Lösungen auszuprobieren. Die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» ist einer davon. Sie realisiert in Winterthur mit dem Hobelwerk gerade ihr zweites Arealprojekt und arbeitet dabei wie schon beim Hunziker-Areal in Zürich mit neuen Ansätzen, die wissenschaftlich begleitet werden. Zu den Themenschwerpunkten zählen hier Regenwassermanagement und «skalierbare Lösungen für Netto-Null» – also Massnahmen, die eine neutrale Treibhausgasbilanz ermöglichen. Der Fokus liegt vor allem auf der Erstellung. Die Genossenschaft baut deshalb unter anderem zwei Holz­häuser und setzt beim Haus D auf den möglichst breiten Einsatz alter Bauteile; wo man auf neue Materialien zurückgreifen muss, sollen diese künftig wiederverwendbar sein. Die Erfahrungen werden im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Bundesamt für Energie (BFE) und weiteren Projektbeteiligten ausgewertet.
Für ihr ambitioniertes Vorhaben arbeitet mehr als wohnen mit dem Baubüro «in situ» zusammen, das sich schon vor Jahren auf Bauteilwiederverwendung spezialisiert hat und damit lange ein ziemlicher Exot war. Die Genossenschaft ist froh über den erfahrenen Partner, denn die Herausforderungen sind mannigfaltig. Claudia Thiesen, Vorstandsmitglied und Leiterin Baukommission: «Wir brauchen jemanden, der uns beim gesamten Prozess begleiten und auch bei der Budgetierung beraten kann.» Mit dem Finden geeigneter Bauteile, die heutigen Standards entsprechen, einfach demontier- und wiedermontierbar und erst noch in ausreichender Zahl verfügbar sind, ist es längst nicht getan. Diese müssen auch detailliert geprüft und beurteilt, transportiert, gelagert, allenfalls repariert und gereinigt werden.
Entschieden hat man sich beim Hobelwerk, bei zehn Bauteilgruppen auf Re-Use zu setzen. So finden nun neben anderem Türen, Badeinrichtungen, zehnjährige Fenster aus einer Basler Wohnsiedlung, Aluminiumfassadenbleche eines Winterthurer Grossisten und Granitplatten eines ZKB-­Gebäudes, das nach 26 Jahren bereits wieder abgerissen wurde, eine neue Verwendung im Hobelwerk.

Türen und Lavabos warten im Lager auf den Einbau im Hobelwerk.

Rollende Planung
Überraschungen gibt es bei Re-Use-Teilen immer wieder. Und die verfügbaren Teile bestimmen den Bau massgeblich mit. So schaut beim Hobelwerk-Haus D zum Beispiel die Fassade ganz anders aus als ursprünglich geplant. Zu berücksichtigen waren die Masse der Basler Fenster, die zudem gleich samt Fensterläden eingepasst wurden, auch wenn man solche gar nicht vorgesehen hatte. Hohe Flexibilität ist über die gesamte Planungs- und Bauphase hinweg erforderlich, beim Bauträger ebenso wie bei Planungsbüros und beteiligten Unternehmen. «Das bedeutet laufend Anpassungen und viel Koordination. Und oft braucht es schnelle Entscheide», sagt Thiesen. Um dennoch die Übersicht zu behalten, wurde im Hobelwerk eine eigentliche «Fachplanung Re-Use» entwickelt. Mit Budgetrahmen und definierten Verfahren samt Kaufanträgen konnte man agil vorgehen. Schrittweises, ping-pong-artiges Entwickeln heisst die Devise bei Re-Use-Projekten.
Nicht ohne sind auch die diversen Auflagen, die etwa bei Sicherheit, Dämmwerten oder Brandschutz eingehalten werden müssen, sowie offene rechtliche Fragen vor allem bezüglich Haftung und Garantie. Hier muss man noch Erfahrungen sammeln. Die wohl grösste Herausforderung sieht Thiesen aber bei den Kosten. «Der ganze Prozess ist enorm aufwändig. Eigentlich funktioniert Wiederverwendung nur, wenn man die Bauteile mehr oder weniger gratis bekommt», lautet ihr Fazit. Die Bauteilbörsen und Materialkataloge, die es mittlerweile gibt, seien kostenintensiv. Sparen lässt sich vorderhand durch Wiederverwendung also nicht. Gemäss Dario Vittani von in situ sind Re-Use-Projekte durch den Mehraufwand bei Planung und Bau durchschnittlich gar etwa fünf Prozent teurer als konventionelle.

So teuer wie Neubau
Vorgabe beim Haus D war, dass die Kosten diejenigen eines Neubauprojekts nicht überschreiten. «Wahrscheinlich sind wir leicht teurer als budgetiert. Dies liegt aber auch daran, dass das unser erster Re-Use-Bau ist. Wir sehen das als Investition in den Wissensaufbau, der künftigen Projekten zugutekommt.» Thiesen liegt dieser Lernprozess sehr am Herzen. Rohstoffe würden massiv verschwendet und bei der Wiederverwendung de facto meist abgewertet. Das müsse sich ändern. «Wir fragen uns schon, ob man überhaupt noch neu bauen darf. In den letzten Jahren hat man viel zu sorglos Strukturen und Bestand vernichtet.»
Gemäss Bauteiljäger Vittani liegt die Wiederverwendungsrate derzeit noch im Promillebereich. Projekte wie Kreishaus und Hobelwerk zeigen, wie man das im Wohnungsbau ändern könnte. Angesichts der Dimensionen des Themas mögen dies bescheidene Beiträge sein. Positiv gesehen liegt ein riesiges Potenzial vor uns.


www.zhaw.ch/iunr/kreishaus
www.hobelwerk-winterthur.ch