Ein Wohnumfeld, das die Sinne anregt, fördert die Lebensqualität

Von Chor bis Sauna

Sauna, Demenzgarten, Hallenbad oder Chor? Das alles gibt es bei Baugenossenschaften, auch wenn es nicht zu ihrem Standardrepertoire gehört. Aber Angebote, die die Sinne ansprechen, können die Wohn- und Lebensqualität erhöhen. Oft fördern sie zudem auf besondere Weise den Zusammenhalt.

Von Liza Papazoglou | Bilder: Sawia, Manu Friederin, zVg | April 2020

«Nehmen Sie eine Aubergine – die fühlt sich prall und seidig an. Ganz anders als zum Beispiel eine Zitrone mit ihren vielen Dellen, oder als ein raues Rüebli. Wenn demente Menschen solche Pflanzen betasten und ihren Duft riechen, holt das bei ihnen ganz viele Erinnerungen hoch.» Fatima Urbano weiss, wovon sie spricht. Die Gerontologin und Aktivierungstherapeutin war dabei, als vor vier Jahren für die Pflegewohnung in der Siedlung Eyhof der Baugenossenschaft Schön­heim (BGS) ein Therapiegarten angelegt wurde. Seitdem hat sie dessen Nutzung als Leiterin Soziale Betreuung begleitet. Für die Stiftung Sawia, die in der Genossenschaftssiedlung eine ihrer sechs Wohngruppen im Zürcher Quartier Albisrieden betreibt, war das ein Pilotprojekt.
Fatima Urbano beschreibt die Wirkung, die die sinnliche Erfahrung von Pflanzen bei dementen Menschen hat. «Man kann praktisch zusehen, wie das Emotionen auslöst und die Leute aktiviert. Beispielsweise wird die Feinmotorik verbessert. Und wenn sie Blumen oder Kräuter riechen, die sie von früher kennen, wissen sie, wofür diese verwendet werden, auch wenn sie vielleicht die Namen nicht mehr nennen können.» Mittlerweile ist nachgewiesen, dass gut angelegte Sinnesgärten die Aufmerksamkeit fördern, die kognitiven Fähigkeiten verbessern und den Stoffwechsel anregen. Dank des Therapiegartens erleben die Bewohner der Eyhof-Pflegewohnung den ganzen Pflanzenzyklus: vom Ansähen und Einsetzen über das Gies­sen und Pflegen bis zu Ernte, Kochen oder Weiterverarbeiten und Essen. Das bereitet ihnen viel Freude und stärkt sie, hat Fatima Urbano festgestellt. Die Erfahrungen mit dem Demenzgarten sind so positiv, dass die Sawia das Konzept noch dieses Jahr in allen Pflegewohnungen umsetzen will.

Förderliches Grün
Damit steht sie nicht alleine da. Auch in neuen Siedlungen anderer Zürcher Genossenschaften wurden mittlerweile Therapiegärten für Pflegewohnungen eingerichtet, die alle Sinne ansprechen sollen, etwa im Brunnenpark der Baugenossenschaft Brunnenhof oder im Zentrum Friesenberg der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ). Ein sinnesanregender Aussenraum als therapeutisches Mittel ist das eine. Was aber löst das Erleben einer grünen Umgebung ganz allgemein aus? Intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat sich Martina Föhn, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin der «Forschungsgruppe Grün und Gesundheit» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) forscht und unterrichtet.
Nachgewiesen seien sowohl physische als auch psychische Effekte. Sie nennt einige Beispiele: «Bäume, vor allem Nadelbäume, beeinflussen die menschliche Gesundheit chemisch. Sie senden Duftstoffe aus, die Blutdruck sowie Herzfrequenz senken und Stresshormone reduzieren. Ausserdem ist erwiesen, dass Grün in der Umgebung positiv auf die Psyche wirkt. So sind Menschen etwa seltener depressiv oder genesen schneller.» Die Expertin findet denn auch, man sollte dieses Wissen generell mehr für die Gestaltung von Aussenräumen nutzbar machen und statt vorwiegend auf Ästhetik viel stärker auf gesundheitliche Aspekte setzen. «Es ist wichtig, dass man sich draus­sen im Grünen bewegen kann, das stärkt die Immunabwehr. Es braucht aber auch Rückzugsmöglichkeiten und Ruhe. Und man sollte Pflanzen betrachten und mit ihnen in Kontakt sein können, sei dies beim Unkrautjäten oder beim Beerenpflücken. Das aktiviert die Sinne.» Diese Effekte macht sich auch das Stadtgärtnern zunutze, das seit einigen Jahren um sich greift.

Das Hallenbad der Schaffhauser Genossenschaft Wogesa ist ein Unikum und stiftet seit über 50 Jahren Identität. Aus finanziellen Gründen droht jetzt allerdings das Aus.

Die Welt erfahren
Auch Baugenossenschaften pflegen dieses Angebot zunehmend – oder greifen vielmehr die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitete Gartenstadtidee wieder auf. Stand damals der Selbstversorger­gedanke im Vordergrund, geht es heute aber neben dem gemeinsamen Wirken vor allem um das Bedürfnis, sich wieder mehr mit der Natur zu verbinden. Auch die BGS unterstützt dieses Anliegen, wie Geschäftsführer Samuel Steiner sagt: Genauso, wie man in der Siedlung Eyhof Hand bot zum Anlegen des Therapiegartens, kam man auch den Wünschen der übrigen Bewohnenden nach sinnlich erlebbaren Aussenräumen nach. Diese bewirtschaften nun in Eigenregie Mietergärten und neue Obstbäume, bald soll überdies ein mobiler Hühnerstall hinzukommen. Siedlungskommissionsmitglied Philipp Bollier schätzt denn auch den vielfältigen und naturnahen Aussenraum. «Wir möchten spür- und erlebbar machen, wo unsere Nahrungsmittel herkommen, und einen Bezug zur Natur schaffen», sagt er.
Um uns und unsere Umwelt zu spüren, sind wir auf unsere Sinne angewiesen. Mit unseren Augen, Ohren, Nasen, Mündern und dem hochdifferenzierten Tastsinn erschliessen, erfahren und erleben wir die Welt. So nehmen wir etwa über die Haut Temperatur, Druck und Oberflächen­beschaffenheit wahr, Berührungen können aber auch Glückshormone fliessen lassen. Gerüche holen vergessen Geglaubtes aus tiefsten Winkeln hervor, machen uns jemanden anziehend oder unsympathisch, steigern die Konzentration oder beruhigen uns. Ein bitterer Geschmack auf der Zunge schützt uns vor unbekömmlichen Lebensmitteln. Der Anblick kleiner Kinder, einer roten Wand, von schmelzenden Gletschern oder Slums evoziert Gefühle und ganze Assoziationsketten. Lärm macht uns krank, schöne Musik glücklich. Sinneswahrnehmungen bestimmen unsere Emotionen, warnen uns vor Gefahren, prägen unsere Beziehungen, helfen uns, die Welt zu ordnen und zu interpretieren. Sie bestimmen, ob wir uns wohlfühlen. Ohne zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu spüren, wären wir völlig verloren.

Beim Wohnen Glückssache
Eigentlich Grund genug, dem Thema grosses Gewicht einzuräumen – auch und gerade im Wohnumfeld, wo wir einen grossen Teil unserer Lebenszeit verbringen. Dennoch wird dies selten gezielt gemacht. Und wenn, dann oft erst dann, wenn es um Sinnesbeeinträchtigungen geht, denen man baulich begegnen muss – etwa für Menschen, die nicht sehen oder hören. Dies war auch so bei Maya Scheib­ler, die mit ihrem Partner das Büro Scheibler & Villard Architekten in Basel führt und Professorin für Konstruktion und Entwurf an der Berner Fachhochschule ist. Mit ihrem Architekturbüro hat sie für «Die Tanne», die Schweizerische Stiftung für Taubblinde, einen Erweiterungsbau einer Einrichtung mit Wohn- und Schulräumen für Kinder in Langnau am Albis (ZH) entworfen. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema sei ihr erst so richtig bewusst geworden, wie stark sich viele nur auf das Visuelle konzentrierten.
Das reiche allerdings nicht, und zwar unabhängig davon, ob man für Leute mit oder für Leute ohne Sinnesbeeinträchtigungen baue: «Damit sich Menschen orientieren können und aufgehoben fühlen, braucht es eine Architektur, die alle Sinne bedient und dabei auf klare Kontraste setzt. Das gilt für Farben und Oberflächen, Temperaturen, Gerüche und Akustik.» Deshalb sei es sinnvoll, bewusst glatte und raue, weiche und harte, küh­le und warme, helle und dunkle, starre und schwingende, klingende und leise sowie verschieden duftende Materialien zu verwenden. Früher wurde dies bei traditionellen Bauweisen und natürlichen Materialien – «denken Sie etwa an die Griffigkeit von Steinrusticos und Mineralputzen, an knarrende Holzdielen oder duftende Arvenzimmer» – viel direkter eingesetzt. Heute verhin­derten neben modernen Materialien auch die zahlreichen Normen, Ansprüche und Standards solche klaren sinnlichen Erfahrungen.
Kommt hinzu, dass raumpsychologische Erkenntnisse im Wohnbereich erstaunlich selten gezielt zur Anwendung kommen. Für das Arbeits- und Konsumumfeld belegen mittlerweile viele Studien, dass zum Beispiel Beleuchtung, Geräuschpegel, Raumhöhen, Temperatur, Pflanzen und Düfte einen gros­sen Einfluss auf Aspekte wie Konzentrationsfähigkeit, Kreativität, Stresslevel oder Kauflust ausüben. Entsprechend betreiben Firmen einigen Aufwand, um Mitarbeiterinnen oder Konsumenten über die Raumgestaltung zu beeinflussen. Bei der Siedlungsplanung hingegen sind solche Überlegungen kaum ein Thema, abgesehen vielleicht von einigen farbpsychologischen Erkenntnissen.

Chorsingen passt zu Genossenschaften: Es lässt beim gemeinsamen Wirken etwas entstehen, und es verbindet stark. Zu ihren Jubiläen haben die EBG Bern (links) und die Gewobag Chöre lanciert – mit so positiver Resonanz, dass sie weiterbestehen.

Gemeinsam mit den Sinnen
Zielt man auf eine Umgebung ab, die die Sinne anregt und das Wohlbefinden steigert, besteht bei vielen Bauten also noch reichlich Luft nach oben. Das gilt auch für Genossenschaftssiedlungen. Am ehesten noch überzeugen vielerorts Aussenräume und Spielplätze. Gerade Kindern wird wenigstens bei den besseren Beispielen zugestanden, vielfältige sensorische Erfahrungen zu machen und etwa mit Händen und Zehen im Sand zu wühlen, über Wiesen zu laufen, Holzscheite zu verbauen, Beeren zu naschen oder mit Wasser zu planschen.
Punkten hingegen können Baugenossenschaften dafür oftmals mit Angeboten und Infrastrukturen, die gemeinschaftsfördernde Sinneserlebnisse ermöglichen. Gemeinsam etwas für Körper und Seele zu tun, verbindet. Das zeigt sich exemplarisch beim Essen. Es gibt kaum eine Genossenschaft ohne kulinarische Events, seien das Mittagstische, Grillstellen, Multikultibuffets am Sommerfest, vorweihnächtliches Grittibänzbacken oder – in den letzten Jahren beliebt geworden – Bierbrauen. Ebenso sind Räume zum Feiern für viele Genossenschaften eine Selbstverständlichkeit. Bisweilen aber verfügen sie auch über sehr viel speziellere Angebote für Sinnesfreuden, die man in diesem Umfeld nicht unbedingt erwarten würde.

Das Unikum
Ein solches Beispiel und ziemliches Unikum ist das Hallenbad der Schaffhauser Wohngenossenschaft Wogesa. Mit ihm hatten sich damals, in den 1970er-Jahren, die Mitglieder einen ziemlich ambitionierten Traum verwirklicht, inklusive Sauna und Dampfbad. Über fünfzig Jahre hat das funktioniert, allerdings mehr schlecht als recht, wie Sandra Mettler freimütig einräumt. Sie ist seit vier Jahren Präsidentin der Wogesa, die über gut 180 Wohnungen verfügt, und hat sich mit viel Herzblut für den Erhalt des exklusiven Angebots eingesetzt. «Es ist etwas ganz Besonderes, wenn man im ‹eigenen› Bad schwimmen und sich erholen kann. Das Bad ist sehr wichtig für die Identifikation im Quartier. Vor allem die ältere Generation hängt sehr daran. Aber der Aufwand ist enorm, und der Unterhalt teuer.»
Auch wenn man sich vor einigen Jahren nach aussen geöffnet hat und auch viele Externe das Bad nutzen, ist der Betrieb seit Jahren defizitär. Die Infrastruktur wurde vernachlässigt, was nun eine umfassende Renovation unumgänglich macht. Die hohen Investitionen dafür kann die kleine Ge­nos­senschaft alleine aber nicht stemmen. Finden sich keine externen Geldgeber, wird das Bad deshalb schon bald seine Tore schliessen müssen. Sandra Mettler bedauert dies zwar sehr, ist sich aber der Verantwortung ihrer Genossenschaft bewusst. «Unsere primäre Aufgabe ist natürlich, günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und wir müssen sorgsam mit dem Geld unserer Mitglieder umgehen. Schade ist es dennoch, wenn wir diese Einrichtung aufgeben müssen. Sie ist identitätsstiftend für die Wogesa.»

Saunen mit Aussicht
Gut aufgestellt ist demgegenüber die Sauna der Baugenossenschaft «mehr als wohnen» auf dem Hunziker-Areal in Zürich Nord. Sie verdankt sich der Initiative von Bewohnenden, die diese Idee bereits vor dem Einzug 2014/15 in die partizipativ entwickelte Siedlung einbrachten. Dank einer engagierten Quartiergruppe und nach einigen organisatorischen Anpassungen läuft heute alles rund. Und offensichtlich wird das Angebot geschätzt: Rund 60 Saunaabos bestehen aktuell, eine stolze Zahl bei 370 Wohnungen. Seit 2019 ist der Betrieb bei einem Jahresabopreis von 150 Franken selbsttragend, weiss die Kommunikationsverantwortliche Roseli Ferreira. Für sie ist klar: «Die Sauna entspricht einem Bedarf im Quartier. Sie ist eines von vielen Angeboten, das von den über 40 Quartiergruppen gemanagt wird. Ihre grosse Qualität ist, dass sie sowohl das persönliche Wohlbefinden als auch das gemeinschaftliche Leben fördert.»
Das sieht auch Ingrid Heuman so. Sie lebt in der Kalkbreite-Siedlung der gleichnamigen Genossenschaft mitten in Zürich. Gleich wie das Hunziker-Areal verfügt diese auf dem Dach über eine Sauna mit spektakulärer Aussicht auf ihre urbane Umgebung. «Es ist ein Riesengewinn, wenn man in der eigenen Siedlung auf eine so tolle Art entspannen kann.» Das sei aber nicht einfach nur ein privater Luxus, sagt das Mitglied der Sauna-AG, sondern auch ein ganz spezieller Begegnungsort. Vor allem, seitdem es zweiwöchentlich abends eine Frauensauna gibt. «Da treffen sich Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden. Indem man sich hier Zeit nimmt, runterfährt, auch körperlich zu sich kommt, entsteht ein Raum für gute Gespräche. Das ist schon etwas ganz Besonderes, eine Oase mitten in der Stadt.» Diese sinnliche Qualität verbessere die Lebensqualität wesentlich, findet sie.

Wo man singt, da lass dich nieder …
Nicht auf heisse, sondern auf wohlklingende Luft setzen demgegenüber seit Kurzem sowohl die Zürcher Gewobag als auch die Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern (EBG). Erstere feierte 2018 ihr 75-Jahr-Jubiläum, die EBG letztes Jahr den 100. Geburtstag. Beide Genossenschaften nahmen das zum Anlass, um einen eigenen Festchor zu gründen. Mit durschlagendem Erfolg: Das Interesse war riesig. Bei der EBG machten beim Festprogramm statt dem erwarteten Dutzend rund 50 Sängerinnen und Sänger mit, im Gewobag-Chor engagierten sich gar an die 150 Leute aus diversen Siedlungen. Gewobag-Geschäftsführer Daniel Muff freut sich nicht nur über die hohe Teilnehmerzahl. Genauso wichtig ist ihm, dass ein Chor etwas «Urgenossenschaftliches» sei – man mache nämlich etwas, das nur gemeinsam funktioniere und ein Ganzes ergebe. «Wer im Chor singt, tut etwas für sich selber und gleichzeitig für die anderen. Man erarbeitet gemeinsam und mit Herzblut ein Produkt, das es sonst nicht gäbe. Das schweisst enorm zusammen!»
Auch bei den Beteiligten war die Begeisterung gross. So gross, dass nun beide Chöre weitergeführt werden – jeweils als Verein, der von den Genossenschaften vor allem mit Gratisinfrastruktur unterstützt wird. Währenddem der Gewobag-Chor bereits weitere öffentliche Auftritte hinter sich hat, ist der neue Wyssestei-Chor noch im Aufbau. Aber auch dort wollen engagierte Genossenschaftsmitglieder dafür sorgen, dass künftig jedes Jahr unter professioneller Leitung ein Programm einstudiert wird, bei dem Genossenschaftsmitglieder aller Siedlungen sowie alle im Quartier, die Lust haben, mitsingen können. Mitorganisatorin Eveline Stettler: «Wir haben wirklich grosse Freude an dem Projekt, die Leute sind motiviert. Gemeinsam zu singen schafft ein spezielles Gemeinschaftsgefühl, man ‹schwingt› sozusagen zusammen.» Und der Chor sei gut für die Nachbarschaft: «Auf einmal grüsst man mehr Leute auf der Strasse und lernt Menschen aus anderen Siedlungen kennen. Das ist einfach schön.»