Das neue Energiegesetz bringt Eigenverbrauchsgemeinschaften Vorteile

Schub für die solare Stromproduktion

Eigenverbrauchsgemeinschaften dürfen künftig zusätzlich benötigten Normalstrom günstig auf dem freien Markt einkaufen, wenn ihr Gesamtstromverbrauch 100 000 Kilowattstunden übersteigt. Arealnetze und ein liberalisiertes Messwesen ermöglichen weitere Einsparungen.

Von Elias Kopf | Bilder: zVg, www.ezs.ch | Oktober 2017

Spirit of Biel – wer könnte sich nicht ans legendäre Schweizer Photovoltaik-Rennmobil erinnern, das 1990 an der World Solar Challenge überraschend auf den ersten Platz fuhr? Damals genügte ein Durchschnittstempo von 65 Kilometern pro Stunde für die Goldmedaille. Im Vergleich dazu erreichen heutige Solarrennautos mit halb so viel Solarfläche die doppelte Geschwindigkeit. Ähnliche Entwicklungssprünge gibt es auch bei PV-Anlagen für Gebäude. Nicht nur die Energieausbeute der Solarpanels hat sich massiv verbessert, auch ihre Anschaffung ist erschwinglich geworden: «Dank dem Preiszerfall bei PV-Modulen sind Solaranlagen heute günstig. Da die Stromproduktion auf dem eigenen Dach zudem von Gebühren befreit ist, liegen die Gestehungskosten in der Regel deutlich unter den Stromtarifen der Elektrizitätswerke», erklärt Lars Konersmann vom Verein Energie Zukunft Schweiz (www.ezs.ch/eigenverbrauch), der Planungs- und Abrechnungsdienstleistungen für Eigenverbrauchsprojekte anbietet. Dem Umstand, dass privater Solarstrom mittlerweile rentiert, trägt auch das Energiegesetz Rechnung. Es erlaubt seit 2014, den selbst produzierten Solarstrom in sogenannten Eigenverbrauchsgemeinschaften (EVG) zu nutzen. Sollte es dabei zum Beispiel an sonnigen Mittagen zu Überschüssen kommen, dürfen diese ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Nachts und an bewölkten Tagen kann dagegen Normalstrom aus dem Netz bezogen werden (siehe auch Wohnen 06/2016).

Schwung für EVG durch Arealnetze und Pooling
Nun werden die Bedingungen für den Eigenverbrauch noch einmal verbessert. Möglich wurde dies dank dem neuen Energiegesetz, das im Mai von der Stimmbevölkerung angenommen wurde; die zugehörige Energieverordnung wird derzeit überarbeitet und soll auf das Jahr 2018 in Kraft treten. Gerade für grössere Solaranlagen, wie sie bei Wohnbaugenossenschaften üblich sind, wartet die Revision mit einigen Überraschungen auf. So ist künftig der Verbrauch von EVG-Solarstrom nicht mehr auf die eigene Liegenschaft beschränkt; auch direkt benachbarte Grundstücke können über sogenannte Arealnetze mit Solarstrom versorgt werden, sofern sie hinter demselben Netzanschlusspunkt liegen. Auch Liegenschaften mit unterschiedlichen Besitzern lassen sich auf diese Weise zu einer EVG zusammenfassen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Sind mehr Verbraucher an eine EVG angeschlossen, steigt die Chance, den Solarstrom auch zu Spitzenproduktionszeiten vollständig selbst verwerten zu können. Damit dürfte die verlustreiche Einspeisung ins lokale Netz – pro Kilowattstunde gibt es im Durchschnitt nur 9 Rappen bei Gestehungskosten von 12 bis 15 Rappen – spürbar zurückgehen.
Arealnetze verbrauchen nicht nur mehr Solarenergie, sondern kommen auch insgesamt auf einen höheren Stromverbrauch. Dieser setzt sich aus dem Solareigenverbrauch sowie dem Normalstrom zusammen, der vom öffentlichen Netz bezogen wird. Übersteigt der Gesamtverbrauch einer EVG 100 000 Kilowattstunden pro Jahr, was dem durchschnittlichen Verbrauch von etwa 25 Wohnungen entspricht, ist ab 2018 ein sogenanntes Pooling erlaubt. Dies bedeutet, dass man den benötigten Netzstrom nicht mehr zwingend beim lokalen Elektrizitätswerk beziehen muss, sondern auf dem freien Markt einkaufen darf. «Um bei den Stromlieferanten geeignete Angebote einzuholen, braucht eine EVG einerseits Angaben zur Gesamtmenge, andererseits ein Verbrauchsprofil, das zeigt, wann der Strom im Tages- und im Jahresverlauf bezogen wird», erklärt Lars Konersmann. Der Wechsel vom lokalen Elektrizitätswerk zum freien Markt könne sich lohnen: «Aktuell liegen Einsparungen von drei bis fünf Rappen pro Kilowattstunde drin.»

Selber messen spart Kosten
Will eine EVG die Abklärungen und Verhandlungen für den Stromeinkauf nicht selbst durchführen, hat sie gemäss dem Experten die Möglichkeit, einen externen Dienstleister zu engagieren: «Wir unterstützen unsere Kunden bei der Beschaffung von erneuerbarer Energie am Strommarkt. Auf diese Weise kommt eine EVG ohne grossen Aufwand in den Genuss des günstigsten Angebots.» Neben unabhängigen Spezialisten wie EZS bringen sich zurzeit auch diverse Elektrizitätswerke als EVG-Dienstleister in Stellung, da sie im Eigenverbrauch von Solarstrom einen zukunftsträchtigen Markt erkannt haben. Ein späterer Ausstieg aus einem Dienstleistungsvertrag ist unter Einhaltung der vereinbarten Frist jederzeit möglich – zum Beispiel, wenn ein günstigeres Angebot auftaucht oder wenn sich in einer Wohnbaugenossenschaft ein Mitglied bereit erklärt, den Stromeinkauf ehrenamtlich abzuwickeln.
Eine weitere wichtige Neuerung der revidierten Energieverordnung betrifft das Messwesen. Bisher verlangte das Gesetz, dass die Stromverbräuche der einzelnen EVG-Haushalte gegen eine Gebühr vom lokalen Elektrizitätswerk mit amtlichen Stromzählern gemessen werden. In Zukunft wird es zwischen Elektrizitätswerk und EVG nur noch eine einzige Schnittstelle mit einem zentralen Stromzähler geben. Dahinter darf die EVG die Verbräuche der Haushalte neu auch mit eigenen Messgeräten erheben. Bestehende Mieter haben allerdings das Recht, der EVG nicht beizutreten und ihren Strom weiterhin aus dem öffentlichen Netz zu beziehen. Der Verbrauch einer solchen Wohneinheit wird dann wie zuvor vom Elektrizitätswerk mit einem herkömmlichen Zähler gemessen und unabhängig von der EVG in Rechnung gestellt. Hat sich ein Mieter jedoch einmal einer EVG angeschlossen, ist ein Austritt nicht mehr möglich.

Ab 2018 können verschiedene Liegenschaftenbesitzer ihre Häuser zu einem EVG-Arealnetz mit einem gemeinsamen Netzanschlusspunkt (NAP) «poolen». Erreicht diese EVG einen
Gesamtverbrauch von 100 000 Kilowattstunden pro Jahr, kann sie auf den freien Markt.

Neumieter als Bezüger von EVG-Strom
Da die meisten Genossenschaften den Preisvorteil des günstigeren EVG-Stroms ganz oder teilweise an ihre Mieterschaft weitergeben, dürfte es nur in den seltensten Fällen zu einer Teilnahmeverweigerung kommen. Neumieter können von Anfang an zum Bezug von EVG-Strom verpflichtet werden. Dies eröffne interessante Perspektiven, erklärt Christof Bucher vom Zürcher Ingenieurunternehmen Basler & Hofmann AG, das über ein Spezialistenteam für die Planung, den Bau und den Betrieb von Solaranlagen verfügt. So kann man bei bestehenden Gebäuden dem Elektrizitätswerk die alten Zähler möglicherweise abkaufen und selber betreiben. Auf diese Weise spart man sich die Messgebühren. «Echte Vorteile bringt die neue Regelung jedoch vor allem bei Neubauten und Totalsanierungen. Denn es gibt heute Stromzählersysteme, die deutlich preisgünstiger sind als die hochwertigen, geeichten und plombierten Elektrizitätswerkszähler.» Dennoch, so der Experte, solle man die Messdienstleistungen des Elektrizitätswerks nicht vorschnell künden, da der Betrieb eines eigenen Systems auch Verwaltungsaufwand mit sich bringt.
Wer diese Administrationsaufgaben nicht selbst erledigen will, kann auf externe Dienstleister zurückgreifen, die Installation und Betrieb des EVG-internen Mess- und Abrechnungswesens übernehmen. Dabei gibt Christof Bucher zu bedenken, dass solche Dienstleister meist eine selbst entwickelte Softwarelösung benutzen, die wenig Spielraum für Sonderwünsche lässt. Je nach Firma lassen sich aber grössere Dienstleistungspakete schnüren, die über die Messung und Abrechnung der internen Verbräuche hinaus auch den Einkauf von Netzstrom, die Platzierung von Solarstromüberschüssen auf Solarstrombörsen und zum Teil auch die Abrechnung weiterer Nebenkosten umfassen.

Angebote gut vergleichen
«Am besten sucht eine EVG das Gespräch und informiert sich sowohl beim lokalen Elektrizitätswerk als auch bei ein oder zwei unabhängigen Dienstleistern über die aktuellen Angebote und Kosten», so Christof Bucher. Ein Branchenverzeichnis fehle im jungen Markt noch. Doch könne man geeignete Firmen oder Auskunftspersonen einfach über die Website www.solarprofis.ch finden. Und verfüge eine Wohn­baugenossenschaft über genügend administrative Kapazitäten, sei auch Selbermachen eine Option. Christof Bucher: «Ist das Stromzählersystem einmal angeschafft, sind Ablesen und Verrechnen keine Hexerei – es kommt bloss ein neuer Posten zur bestehenden Nebenkostenabrechnung hinzu.»

Kostenlose Erstabklärung für EVG:
www.ezs.ch/quickcheck

Logis-Suisse-EVG lässt Strom extern abrechnen

2015 sanierte die gemeinnützige Aktiengesellschaft Logis Suisse in Em­brach (ZH) vier Wohnhäuser an der Illinger- und der Stationsstrasse. Im Sinne einer qualitätvollen Verdichtung wurden in den Estrichen zusätzlich zu den bestehenden 27 Wohnungen 8 Dachwohnungen geschaffen. Gleichzeitig erhielten alle Häuser PV-Anlagen. Dabei wurde die Siedlung zu einer Eigenverbrauchsgemeinschaft (EVG) zusammengefasst.
«Mit den zusätzlichen Wohnungen wird voraussichtlich ein Gesamtverbrauch von über 100 000 Kilowattstunden pro Jahr erreicht, sodass ab 2018 die Vorteile des Poolings ausgeschöpft werden können», erklärt Michael Jastrob von der Enpuls AG. Die Tochterfirma der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich ist auf Dienstleistungen rund um Messen und Abrechnen von Strom spezialisiert und übernimmt auf Wunsch auch die Abrechnung weiterer Nebenkosten wie Wärme und Wasser. «In den vier Häusern in Embrach führen wir die Stromverbrauchsmessung und -abrechnung der einzelnen Wohneinheiten durch und erledigen das Inkasso. Auf Wunsch von Logis Suisse stellen wir den Strom separat in Rechnung.»
Für die Mieter heisst das, dass sie weiterhin zwei Rechnungen erhalten: eine Nebenkostenrechnung und eine Stromrechnung. Zwar wäre es administrativ effizienter, Nebenkosten und Strom in einer Rechnung zu bündeln. Doch ist nicht klar, ob die Mieter aus einer Gesamtrechnung herauslesen könnten, dass nicht etwa die Nebenkosten besonders hoch sind, sondern dass sie dank EVG-Strom eher etwas günstiger fahren. Generell sieht Michael Jastrob bei EVG nicht nur Potenzial für administrative Vereinfachungen, sondern je nach Siedlung auch technische Optimierungsmöglichkeiten: «Es ist am lukrativsten, möglichst die gesamte Solarproduktion selbst zu verbrauchen, statt Überschüsse ins öffentliche Netz einzu­speisen.» Um den Eigenverbrauch zu steigern, können zum Beispiel Wärmepumpen oder Warmwasserboiler so gesteuert werden, dass sie primär in den Mittagsstunden arbeiten, wenn viel eigener Solarstrom vorhanden ist (siehe Grafik). Das so kostengünstig produzierte Warmwasser kann gespeichert und am Abend genutzt werden.