HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur erstellt Siedlung Oberzelg in Winterthur Sennhof

Wo Gemeinschaftlichkeit nicht am Siedlungstor aufhört

Im Aussenquartier Sennhof hat die HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur eine Siedlung mit rund 140 Wohnungen fertig­gestellt. Das attraktive Ensemble ist auf die Gemeinschaftsförderung ausgelegt, wobei das ganze Quartier mit einbezogen wird. Ein «Ideenhaus» dürfen die Sennhoferinnen und Sennhofer gemeinsam nach ihren Bedürfnissen nutzen.

Von Richard Liechti | Bilder: Andreas Mader | November 2019

«Baut Quartiere, nicht Siedlungen»: Das legen Stadt- und Raumplaner den Baugenossenschaften immer wieder ans Herz. Für die HGW Heimstätten-Genossenschaft Winterthur nichts Neues. Sie erstellt immer wieder Infrastruktur, etwa in Form von Gemeinschaftsräumen, die nicht nur der jeweiligen Siedlung, sondern einer breiteren Öffentlichkeit zugutekommt. Noch nie hat die HGW das Konzept der Quartierentwicklung jedoch so umfassend umgesetzt wie in ihrer Neubausiedlung Oberzelg im Winterthurer Quartier Sennhof. Das kommt nicht von ungefähr. Die HGW besitzt in Sennhof, das etwas abgetrennt von der Stadt am Eingang zum Tösstal liegt, mittlerweile Wohnraum für 700 Personen. Rund dreissig Prozent der Sennhoferinnen und Sennhofer leben somit in einer HGW-Wohnung. «Wir sind Sennhof», sagt Martin Schmidli, Geschäftsführer der HGW, mit einem Augenzwinkern. «Deshalb wollten wir hier noch mehr für die Öffentlichkeit machen, als wir es in anderen Siedlungen tun.»

Blick vom öffentlichen Quartierplatz in die Siedlungsstrasse. 

Sozial denkende Landverkäufer
2005 konnte die HGW in Sennhof eine erste Siedlung mit gut hundert Wohnungen direkt am Tössufer fertigstellen. Schon früh sicherte sie sich ein zweites Areal direkt beim Bahnhof, dies nicht zuletzt im Hinblick auf die Einführung des Halbstundentakts, die es als Wohnlage stark aufwerten würde. Allerdings bestand das Bauland aus mehreren Parzellen, die
gemäss einem Erschliessungsplan der Stadt einzeln überbaut werden sollten. In einem langwierigen Prozess gelang es der HGW, die verschiedenen Teile aufzukaufen und zusammenzulegen. Dabei profitierte sie von sozial denkenden Landverkäufern wie dem Landwirt Heinrich Egg oder der ehemaligen Spinnerei Hermann Bühler AG. Sie verlangten einen Preis, den Martin Schmidli als «vernünftig» bezeichnet, da er den Bau bezahlbarer Wohnungen möglich machte.
Für die Projektfindung führte die HGW einen Architekturwettbewerb auf Einladung durch, den das Zürcher Büro Esch Sintzel Architekten gewann. 139 Wohnungen in fünf geknickten Längsbauten sind in den Jahren 2016 bis 2019 entstanden. Architekt Philipp Esch empfand den Bauplatz in der grünen Landschaft am Stadtrand als «Neugründung», so, als wäre ein Stück Winterthur zum einsamen Bahnhof gezogen. «Dies erforderte einen deutlichen städtischen Auftritt», erklärt der Architekt. Solch städtische Elemente sind etwa die Kolonnaden entlang der Hauptgasse, der elegante traditionelle Kratzputz oder die Farbgebung mit drei Bändern in Gelb- und Grüntönen, die eine heitere urbane Festlichkeit ausstrahlen sollen.
(siehe dazu auch das Interveiw in Wohnen 9/2019).

Es gibt verschiedene Wohnungstypen. Hier einen Einblick in eine Wohnküche und Bad. 

Für Bewohnende und Quartier
«Gemeinschaftlichkeit» ist dabei sozusagen das Grundkonzept der Anlage, und zwar nicht nur auf Siedlungs-, sondern eben auch auf Quartierebene. Der Innenhof, der sich mäandrierend durch die Bauten zieht, eröffnet drei Plätze, die eine Abfolge von öffentlichem zu privatem Raum bilden. Am Siedlungseingang findet sich der Hauptplatz, der nicht umsonst Quartierplatz heisst. Hier, wo die Sennhoferinnen und Sennhofer auf dem Weg zum Bahnhof vorbeikommen, hat die HGW ein Café und einen Lebensmittelladen eingerichtet – nota bene den einzigen im Ort. Auch der Gemeinschaftsraum, der als Quartiertreff dienen soll, eine Kinderkrippe und das Siedlungsbüro der Genossenschaft sind hier untergebracht. Danach verengt sich die Hauptgasse und öffnet sich wieder. Dieser Raum, der nochmals zwei Plätze bildet, gehört vor allem den Bewohnerinnen und Bewohnern der Siedlung.
Doch die HGW will noch mehr für das Quartier tun: Derzeit ist ein «Ideenhaus» im Bau, dessen Nutzung die Bevölkerung gemeinsam entwickeln darf. Das Haus liegt etwas ausserhalb der Siedlung und ist wegen des Strassenlärms für das Wohnen weniger geeignet. «Eigentlich wissen wir noch nicht genau, was dort passiert», erklärt HGW-Geschäftsführer Martin Schmidli. Beschlossene Sache ist ein Jugendraum, den die mobile Jugendarbeit Winterthur betreiben wird. Daneben sind etwa Werkstätten oder Musikräume geplant.
Gemeinschaftsförderung findet aber auch innerhalb der Siedlung statt. So spart die HGW beim Aussenraum Spielplatzflächen aus, die sie gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gestaltet. Sie dürfen nicht nur Ideen einbringen, sondern an einem Bautag selbst Hand anlegen. «Das sorgt für erste Begegnungen der neuen Mieter», erklärt Martin Schmidli – und vielleicht gar dafür, dass später im Alltag mehr Sorge zu den Einrichtungen getragen wird. Die HGW hat zudem eine Mitarbeiterin angestellt, die für alle Belange des Siedlungslebens zuständig ist – von der Vermietung des Gemeinschaftsraums über die Unterstützung der Bewohner bei der Umsetzung ihrer Ideen bis hin zur Prävention von Konflikten.

Die HGW spart jeweils Spielräume aus, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern gestaltet werden können. An einem Bautag packen sie sogar selber an.

Diele als Herz der Wohnung
Das wichtigste Zielpublikum der neuen Siedlung sind Familien, so dass die Viereinhalbzimmerwohnung der häufigste Typ ist. Die HGW will ihren Mitgliedern jedoch für alle Lebensphasen Wohnraum bieten, um so für eine Durchmischung der Bewohnerschaft zu sorgen. Die Wohnungen besitzen allen üblichen Komfort. Nicht alltäglich sind die Grundrisse. Man betritt die Wohnungen nämlich über eine Diele, die – mit einer Ausnahme – alle übrigen Räume erschliesst. Statt eines grossen Wohn-Ess-Raums findet sich eine Abfolge von drei Zimmern, darunter eine geräumige Wohnküche. Zudem verfügen die Wohnungen über zwei private Aussenräume, so dass man sich je nach Wunsch auf den belebten Platz oder die privatere Aussenseite ausrichten kann.
Die HGW wickelt ihre Bauprojekte traditionell ab und vergibt die Aufträge selbst, unter anderem deshalb, weil das lokale Gewerbe zum Zug kommen soll und man eine hohe Qualität einfordert. Die Häuser erfüllen den Minergie-P-Standard. Die Fassaden bestehen aus einem Einschalenmauerwerk, das mit einem Isolierputz und einem abschliessenden Kratzputz versehen ist. Die notwendige Heizwärme liefert die städtische Fernheizung. In der Tiefgarage bietet man rund einen Platz pro Wohnung, was nach ersten Erfahrungen etwas knapp berechnet ist.

Vermietungserfolg trotz Randlage
Für die HGW ist die Siedlung Oberzelg das grösste je an einem Stück realisierte Projekt. Umso befriedigter nahm man zur Kenntnis, dass alle Wohnungen sechs Monate vor Bezug vergeben waren. Neben der attraktiven Anlage, dem Wohnungsangebot und der ausgezeichneten ÖV-Verbindung dürften die Mieten dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. So waren Familienwohnungen schon ab rund 1800 Franken monatlich zu haben. Und was die Verantwortlichen nicht weniger freut: Erste Erfahrungen zeigen, dass das Gemeinschaftskonzept funktioniert und in der neuen Siedlung schon reges Leben herrscht.

Baudaten

Bauträgerin:
HGW Heimstätten-Genossenschaft
Winterthur
Architektur:
Esch Sintzel Architekten GmbH, Zürich
Baumanagement und Bauleitung:
Caretta Weidmann Baumanagement AG, Zürich
Umfang:
139 Wohnungen, Dorfladen, Hort, Siedlungsbüro, Quartierraum, Tiefgarage 128 Plätze, Ideen-/Werkhaus

Baukosten (BKP 1–5):
27 Mio. CHF total
Mietzinsbeispiele:
3 ½-Zimmer-Wohnung (EG, 81 m2):
1520 CHF plus 110 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung (2. OG, 108 m2): 1690 CHF plus 140 CHF NK